: Sieg der Familienwerte
■ Das neue US-amerikanische Telekommunikationsgesetz enthält eine Klausel gegen "unanständige Informationen"
Ungewöhnliche Szenen in San Francisco. Die Internet-Gemeinde geht auf die Straße. Sie demonstriert gegen eine Gesetzesvorlage des Kongresses, die den Cyberspace zensieren will. Ende des wunderbaren Traumes von der grenzenlosen Freiheit der Daten? Das Gesetz, das den amerikanischen Telekommunikationsmarkt wirtschaftlich liberaliseren soll, enthält eine „Unsittlichkeitsklausel“, wonach obszönes, pornographisches und „unanständiges“ Material nicht mehr ungestraft auf US-amerikanische Bildschirme gelangen darf.
Das Gesetz soll noch Ende dieses Monats verabschiedet werden. Die Gruppen der Neuen Rechten wie die einflußreiche „Christian Coalition“ oder das „National Center for Familiy Values“ haben in dieser Frage die parlamentarischen Mehrheiten hinter sich.
Dabei hat die Unzüchtigkeitsklausel mit dem Zweck des Telekommunikationsgesetzes nichts zu tun, schimpft Lori Fena, Exekutivdirektorin der Bürgerrechtsgruppe „Electronic Frontier Foundation“ (EFF, http://ww.eff.org). Die Idee stammt aus dem Büro des republikanischen Senators James Exon aus Nebraska. Es war sein politisches Geschick, den Paragraphen in das Telekommunikationsgesetz zu schmuggeln. Da die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes auch von den großen der Branche wie AT&T gewollt wird, ist Widerstand schier aussichtslos.
EFF will trotzdem „nicht aufhören, dagegen zu kämpfen. Denn die Klausel ist nur der Anfang.“ Sie betrifft zunächst nur Fersehsender. Aber Bildschirme besitzen auch Computer. Auch Internetprovidern drohen deshalb bis zu 100.000 US-Dollar Bußgeld und fünf Jahre Gefängnis. In vorauseilendem Gehorsam hatte der Online-Dienst „America Online“ das Wort „Brust“ von seinen Rechnern verbannt. Weil nun auch nicht mehr über Brustkrebs geschrieben werden konnte, nahm AOL diese Zensur bald wieder zurück. CompuServe sperrte kurz darauf 200 Newsgroups für seine Kunden – in den USA sollen sie mit einer neuen Filtersoftware bald wieder zugänglich werden. Einige Online-Anbieter haben einen Vorschlag unterstützt, nicht „Unanständigkeit“, sondern „Schädlichkeit für Jugendliche“ als Kriterium zu definieren. Danach wäre anstößiges Material nur zu löschen, wenn es nicht in einem kulturellen, literarischen oder wissenschaftlichen Zusammenhang steht. Diesen Vorschlag hat der Kongreß abgelehnt. Die „Christian Coalition“ feierte die Abstimmung „als einen Sieg der Familienwerte“.
David Kline vom Online-Kultmagazin „Hot Wired“ glaubt nicht, daß die Klausel Erfolg haben wird. „Gerichte werden sie aufheben“, sagt er, „und die Online-Dienste werden vergeblich nach den Worten mit vier Buchstaben fahnden, die anstößig sein sollen.“ (http:// www.hotwired.com/market/index .html) Auch Republikaner wissen, daß sich die Pornographie aus dem Internet nicht verbannen läßt. Rick White, Abgeordneter aus dem Wahlkreis, in dem die Firma Microsoft zu Hause ist, stellt sachkundig fest: „Internet-Benutzer können ihr Material aus dem Ausland ebenso beziehen wie aus ihrer städtischen Bibliothek.“ Tatsächlich ist es kaum möglich, die Unmengen von Daten zu durchforsten. Es bliebe nur übrig, Internet- Anbieter zu durchsuchen.
Ginge es um den Schutz der Teenager, hätte es keines Gesetzes bedurft. Mit Software-Filtern können Eltern die Cyberspace-Ausflüge ihrer Kinder schon lange in die richtige Bahn lenken. Doch „es geht nicht um Pornographie“, sagt Lori Fena, „es geht um die Frage, wer entscheidet, was für andere gut oder schlecht sein soll. Das paßt zu anderen Zensurbeispielen in der Geschichte der USA.“ Die EFF- Sprecherin hält es für denkbar, daß in Anlehnung an die McCarthy- Ära auch politisch mißliebiges Material aus dem Netz verbannt wird. Jede Gruppe, die sich für die Rechte von Schwulen oder Lesben stark macht, könne zensiert werden.
Für Adam Newey, Nachrichtenredakteur bei Index on Censorship, ist der Exon-Vorschlag „die Antwort der Regierung auf etwas, was als eine Bedrohung für das moralische Wohlergehen des Landes angesehen wird“. Da Präsidentschaftswahlen bevorstehen, meint Newey, „macht es nichts, wenn die Antwort grob und plump ist“.
Eingriffe in das Internet sind schon heute möglich. Sie beschränken sich nicht auf Diskussionsgruppen und Homepages. Auch das Briefgeheimnis gilt nicht mehr. Persönliche E-Mail kann durchforstet werden. Seit langem liest das FBI mit. „Gelegentlich haben wir Kommunikationsvorgänge im Internet beobachtet“, gesteht der Sprecher der New Yorker Filiale der Bundespolizei, William Whiteside. Dafür war nicht einmal eine gerichtliche Genehmigung nötig.
Gitta Grashorn und
Ingo Malcher ingo@slip.net
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