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Exotik im Gesellschaftszoo

■ In Hamburgs Westen gibt es am Wochenende offene Ateliers

An Künstlers Orte gehen: dahin, wo die Werke entstehen. Zum dritten Mal veranstaltet deshalb der BBK (Berufsverband Bildender Künstler) die Aktion „Offene Ateliers“. Um den direkten Dialog zwischen Kunstverbraucher und Künstler zu fördern, sind ein Wochenende im Monat in bestimmten Stadtteilen die Ateliers individuell oder mit einer Bustour zu besuchen. Letztes Jahr nutzten das 10.000 Hamburger.

Heute und morgen sind Altona, Ottensen und Bahrenfeld dran. Da ist das ganze Spektrum der Künste vertreten: vom jungen, konzeptuellen Plastiker Eric Friedman aus New York bis zum 60jährigen Lithographen Gun Streland, der Landschaften vom eigenem Atelierkutter aus aquarelliert; von den Rauminstallationen Cristine Schells, die aus getanzten Malperformances entstehen, zu der surrealen Zivilisationskritik des ägyptischen Malers Yasser Shehata, der hier eine private Kunstschule leitet.

Auch das in einer ehemaligen Dosenfabrik eingerichtete Künstlerhaus in der Stresemannstraße ist mit 30 Künstlern dabei. Dort ist mit Ausstellung, Film, Theater, Lesung, Musik und Tanz dieses Wochenende „Tag der offenen Tür“. Die Grenze zwischen erwünschter Öffnung und lästigem Voyeurismus ist manchmal schmal. Damit der Kontakt mit dem Publikum nicht zu intim wird, öffnen der zwischen Hamburg und Tel Aviv pendelnde Objektebauer Zvika Kantor und die allegorische Malerin Inge Pries ihr Atelier nur wenige Meter weit: Dann trennt ein Maschendrahtverhau Künstler und Besucher und macht jede Seite für die andere zu besonders exotischen Wesen im Gesellschaftszoo. Als Person Gegenstand des Interesses zu sein gehört aber bei Jochen Wüstenfeld und Thomas Werner zum Konzept: In der Tradition der living sculpture präsentieren die Künstler sich selbst als aufgesockeltes Kunstobjekt.

Da bei 30 Ateliers kaum jemand den Überblick behält, wurde erstmalig in der dreischiffigen, großen Gerage des Künstlerhauses eine Ausstellung organisiert. Da begegnet sich, um nur Weniges zu nennen, fast informelle Naturmalerei von Peter Heber mit scharf aus Blech geschnittenen Wegzeichen von Sabine Kramer, die freie Farbkontemplationen von Beate Wassermann mit den naturwissenschaftlich bestimmten Konzepten von Marianne Greve, die konstruktive Farbfeldmalerei von Marlene Günther mit dem kopfüber von der Decke hängenden Elefanten von Zvika Kantor (Foto): Es ist es nicht ganz leicht, bei so vielen unterschiedlichen Positionen den Flohmarktcharakter zu vermeiden.

Wichtige Organisatoren von „Dose Open 96“ waren die Malerin Katharina Kohl und der seine fragmentierten Bilder faltende Maler Uwe Sennert. Die beiden sammelten bei den Kollegen kleine Arbeiten und brachten sie zum „Writers Room“, einem Arbeitsplatz für Autoren unter dem Dach desselben Hauses, und erbaten sich Texte zu den Bildern. So entstanden Geschichten, Fabeln und Gedichte, die die Autoren heute nachmittag vor den Bildern vortragen. Manfred Goldbeck wird zudem als „Autormat“ auftreten: als „Menschine“, die nach Einwurf eines Wortes spontan bedeutende Sätze von sich gibt.

Und für die, die reale Künstlerfeste hassen, gibt's dazu auch eine Internet-Adresse zur virtuellen Kontaktaufnahme: http://www.netville.de/artware/projects/letter/letter. html. Hajo Schiff

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