Die stärkste Waffe ist die Angst

In Burundi herrscht Krieg. Tutsi-Milizen haben die Hutus aus der Hauptstadt vertrieben, Hutu-Rebellen schlagen zurück, der Premier kündigt „viel Leid“ an. Und alle finden das völlig normal  ■ Aus Bujumbura Bettina Gaus

Niemand weiß genau, wie viele Opfer der Bürgerkrieg in Burundi in den letzten Monaten gefordert hat. Fest steht nur: Es sind viele. Kaum jemand kann sich in dem zentralafrikanischen Kleinstaat noch sicher fühlen. Gefahr droht von bewaffneten Rebellen, die Granaten werfen und ganze Familien massakrieren, und von der Armee des Landes, die dasselbe tut.

Im Einzelfall läßt sich nicht sagen, wer was warum getan hat. Anfang Dezember hat das Militär, das von der Minderheit der Tutsi dominiert wird, in der Hauptstadt Bujumbura einen Angriff der Rebellenbewegung mit schweren Waffen abgewehrt. Oder doch nicht? Wer Verständnis für die Ziele der Rebellen hat – sie fordern einen größeren Anteil an der politischen Macht und eine Öffnung der Armee für die Bevölkerungsmehrheit der Hutu – der deutet an, daß der Angriff möglicherweise seitens des Militärs nur vorgetäuscht worden war. Die Soldaten hätten so die letzten noch in Bujumbura lebenden Hutu aus der Stadt vertreiben wollen.

In Burundis Hauptstadt und in anderen städtischen Zentren des Landes wohnen heute fast nur noch Tutsi. Flüchten mußten dagegen viele Angehörige dieser Minderheit von ihren Bauernhöfen im Landesinneren – die meisten der „tausend Hügel“ Burundis werden inzwischen nur noch von Hutu- Bauern bestellt. Unter den Hutu- Rebellen aber leiden auch Hutu: Zwangsabgaben werden mit der Waffe erpreßt. Wer nicht zahlen will, riskiert sein Leben.

„Die Leute lügen.“ Aber welche?

Nach der Militäraktion im Dezember berichteten Hutu von Hunderten von Leichen, die sie mit eigenen Augen gesehen hätten. Insgesamt seien Tausende ums Leben gekommen. „Allerhöchstens ein Dutzend sind gestorben“, sagt dagegen ein Kaffeeexporteur aus Bujumbura. „Seien Sie vorsichtig, die Leute hier lügen.“ Gewiß. Aber welche?

Sorgfältige Sprachregelungen beschönigen die Verhältnisse. Kaum jemand hier spricht von einem Bürgerkrieg – es herrscht lediglich „eine Krise“. Wenn Menschen ermordet werden und Sprengkörper in Häusern explodieren, sind das „Zwischenfälle“.

„Wir von den internationalen Organisationen sind vollauf damit beschäftigt, die Liegestühle auf dem Sonnendeck der Titanic zurechtzurücken“, faßt die Mitarbeiter einer UNO-Organisation die Lage sarkastisch zusammen. Vor allem die Tutsi begegnen den Vereinten Nationen mit Mißtrauen – unter anderem auch, weil es ihnen nicht gelungen war, 1994 den Massakern in Ruanda ein Ende zu setzen. Viele ausländische Hilfswerke, darunter sogar das Internationale Rote Kreuz, haben wegen wiederholter Angriffe ihre Arbeit ganz oder teilweise eingestellt.

Der Genozid an der Tutsi-Minderheit 1994 im Nachbarland Ruanda hat auch die Lage in Burundi verschärft. Wo in beiden Staaten noch vor drei Jahren politische Auseinandersetzungen geführt wurden, kristallisieren sich heute Bündnisse allein entlang der ethnischen Linien heraus. Viele Menschen vertrauen nur noch auf den Schutz der eigenen Bevölkerungsgruppe für ihr physisches Überleben. Es mehren sich Hinweise, daß die Armeen beider Staaten – heute beide von Tutsis beherrscht – zusammenarbeiten und daß die burundischen Hutu-Rebellen, die vor allem von Zaire aus operieren, Unterstützung von ehemaligen Soldaten und Hutu-Milizen des gestürzten ruandischen Regimes erhalten.

Burundis Regierung gilt im eigenen Land als machtlos. Eine zum Jahreswechsel gestartete Friedenskampagne der Politiker ruft allenfalls müden Spott hervor: „Jetzt rennt der Premierminister im Land herum und erklärt den Leuten, daß es nicht nett ist, wenn sie einander umbringen“, seufzt der Kaffeexporteur. „Jeder weiß, daß es nicht nett ist, einander umzubringen. Was soll das? Das ist surrealistisch.“

Machtlosigkeit verhindert keine Machtkämpfe. „Die radikale Tutsi-Opposition will den Präsidenten zum Rücktritt zwingen“, meint ein Beobachter. „Und in zwei bis drei Monaten hat sie das auch geschafft.“ Präsident Sylvestre Ntibantunganya, ein Hutu, sitzt auf dem Schleudersitz. Er ist das dritte Staatsoberhaupt Burundis seit Juni 1993. Damals war in freien Wahlen mit Melchior Ndadaye erstmals ein Hutu-Politiker an der Spitze des vorher immer von Tutsi beherrschten Staates gelangt. Im Oktober 1993 wurde Ndadaye bei einem Putschversuch der Armee ermordet. Sein Nachfolger Cyprien Ntaryamira kam gemeinsam mit dem ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana beim Abschuß von dessen Flugzeug über Ruandas Hauptstadt Kigali im April 1994 ums Leben. Seither ist es den von Tutsi dominierten Oppositionsparteien Burundis gelungen, schrittweise einen immer größeren, und gemessen am Wahlergebnis weit überproportionalen Anteil von Kabinettsposten gegenüber der Regierungspartei „Frodebu“ zu erobern, die als Hutu- Partei gilt. Als „starker Mann“ Burundis gilt inzwischen nicht der von der „Frodebu“ gestellte Präsident Ntibantungaya, sondern Premierminister Antoine Nduwayo, Mitglied der Opposition. Er gehört zu den wenigen, die zugeben, daß in Burundi Krieg herrscht. Kurz vor Jahresende erklärte er öffentlich: „Der Krieg wird heftiger werden. Es wird viel Leid geben, und der Krieg wird große Opfer fordern. Jeder muß sich darauf vorbereiten, diese Opfer zu bringen.“

Mit dem Chef der Hutu-Rebellen, Exminister Leonard Nyangoma, will der Premier unter keinen Umständen verhandeln. Welchen Spielraum hätte er auch? Jeder, der mit der jeweils anderen Seite spricht, riskiert den Dolchstoß von den eigenen Leuten.

Die Bevölkerung beginnt, sich zu gewöhnen. In der Kleinstadt Ngozi meint ein Bewohner, die Lage sei vollkommen ruhig. „Wir hatten eigentlich nie wirklich ein Problem.“ Aber ist nicht unmittelbar vor Weihnachten hier der Gouverneur ermordet worden? Und wurden nicht zur gleichen Zeit drei Nächte hintereinander Einrichtungen internationaler Hilfsorganisationen mit Granaten angegriffen? „Ja, aber ich bitte Sie, das ist doch jetzt schon Wochen her.“ Und war nicht die ganze Stadt in der letzten Woche ohne Strom und Wasser, weil Rebellen einen Hochspannungsmast zerstört hatten? „Der ist repariert. Seit vorgestern gibt es wieder Elektrizität. Nein, ich versichere Ihnen, hier ist alles in Ordnung.“

Die Straßen von Ngozi bieten in der Tat ein Bild des Friedens. Gelassen schlendern Menschen in Gruppen die gepflegte, geteerte Hauptstraße entlang. Beim Lebensmittelhändler im Zentrum gibt es neben Reis, Seife, Mehl, Keksen und Waschpulver auch französischen Käse und schottischen Whisky – bestimmt vor allem für die Mitarbeiter ausländischer Organisationen, die hier in der Region Lager mit ruandischen Flüchtlingen versorgen.

Aber seit Ende Dezember arbeiten hier nur noch wenige Ausländer. Die meisten Organisationen haben ihre Arbeit nach den Angriffen eingestellt und ihr Personal evakuiert. Burundische Angestellte verlassen ihre Arbeitsplätze oft schon am frühen Nachmittag, um bis Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein. Die Nacht birgt Gefahren.

Die Lebensmittelpreise sind im letzten Jahr um rund 40 Prozent gestiegen – Folge der sinkenden Produktion in der Landwirtschaft und der wachsenden Transportprobleme. Dabei lebt es sich in Ngozi noch vergleichsweise günstig: In der Hauptstadt Bujumbura kosten Bananen dreimal so viel wie hier.

„Alles ist in Ordnung.“ Aber Menschen sterben

Die Türen zu den Büros der Stadtverwaltung von Ngozi sind weit geöffnet. Nicht einmal vor dem Amtszimmer von Jean-Marie Vianney, der hier seit dem Tod des Gouverneurs die Geschäfte führt, steht ein Wachposten. Aber im Gespräch wagt Vianney nicht zu sagen, welcher Partei er angehört. Er sehnt sich nach der Ernennung eines neuen Gouverneurs, denn er fühlt sich hier nicht sicher: „Die Lage ist delikat.“ Wer den Gouverneur ermordet hat, warum die Hilfsorganisationen angegriffen wurden – darüber weiß er nichts, dazu kann er sich nicht äußern.

Dennoch ist Vianney ein mutiger Mann: Er läßt sich mit Namen zitieren. Die meisten Gesprächspartner in Burundi sind kaum noch bereit, einem auch nur die Uhrzeit zu nennen, wenn ihnen nicht vorher Anonymität zugesichert worden ist. „Wenn wir uns auf der Straße treffen, dann grüßen Sie mich nicht“, warnt ein Bekannter in Bujumbura. „Ich will nicht, daß jemand merkt, daß wir uns kennen.“

Die Straße von Ngozi südwärts in die Hauptstadt ist gut ausgebaut. Mit dem Auto braucht man kaum mehr als eine Stunde. Aber es sind kaum noch Fahrzeuge auf der Strecke unterwegs – regelmäßige Überfälle bewaffneter Gruppen machen die Fahrt zu einer neuen Form des russischen Roulette. Erst vor ein paar Tagen wurden elf Autos gleichzeitig angehalten, darunter Sammeltaxis und kleine Lastwagen. Alle Insassen wurden sämtlicher Habseligkeiten beraubt, einschließlich ihrer Kleider. Im Auftrag des UNO-Welternährungsprogrammes WFP verkehrt jetzt regelmäßig ein Flugzeug zwischen Ngozi und Bujumbura. Preis: 40 Dollar. Die Flüge sind oft auf Tage hinaus ausgebucht.

Bujumbura, die Hauptstadt Burundis, gleicht einer Festung. Die Benutzung der meisten Ausfallstraßen gilt als tödliches Risiko. Zwei Monate lang war die Stadt ohne Strom und ohne Wasser – Rebellen hatten Hochspannungsmasten zerstört. Jetzt hat die Regierung einen gigantischen Generator importiert. „Daran sieht man doch, daß die Regierung etwas unternimmt, um die Lage hier zu stabilisieren“, erklärt eine burundische Journalistin ohne jede Ironie. Viele Einwohner der Stadt bemühen sich fast zwanghaft um Normalität inmitten des Irrsinns. Die große Terrasse eines französischen Luxusrestaurants ist am Mittag eines Werktages nahezu bis auf den letzten Platz besetzt. Ein Architekt erzählt von neuen Bauaufträgen: Renovierung einer Kirche, Umbau eines Hotels, Ausbau eines Krankenhauses.

„Alle Hutu sind Mörder.“ Aber Tutsis wollen Krieg

Aber im schwülen Klima der Isolation verfestigen sich Feindbilder und Verschwörungstheorien. Es gebe keinerlei Unterschied zwischen dem Präsidenten, seiner bei den letzten Wahlen siegreichen Partei und den bewaffneten Hutu- Rebellen, meint ein Professor der Universität von Bujumbura. „Sie sind alle genocidaires – Völkermörder.“ Und warum die Angriffe auf Hilfsorganisationen? Der Professor lacht, er ist außer sich, daß eine so naive Frage überhaupt gestellt werden kann: „Sie sind doch auch alle genocidaires: Sie wollen den Hutu helfen, die Tutsi auszurotten.“ Das gelte im übrigen auch für eine Reihe Botschafter westlicher Staaten und für viele Priester.

Der neugeschöpfte Begriff des „Völkermörders“ ist in Bujumbura in aller Munde. Seit dem Genozid an der Tutsi-Minderheit in Ruanda werden mit diesem Vorwurf in Burundi all jene belegt, die die eigene Position nicht in allen Punkten teilen. Im Flugblatt einer extremistischen Tutsi-Organisation, die letzte Woche vergeblich zum Generalstreik im ganzen Land aufrief, war zu lesen: „Alle, die sich dieser Aktion nicht anschließen, werden wie Völkermörder behandelt.“

Wie ist in dieser Atmosphäre des Mißtrauens und der Angst eine Annäherung überhaupt vorstellbar? „Es gibt nur eine Lösung: Wir müssen einen Krieg führen“, sagt der Professor. „Nur das Militär kann das Überleben aller Bürger garantieren. Diejenigen, die besiegt sind, werden dann zur Zusammenarbeit bereit sein.“