piwik no script img

Zwangsauszug nach 20 Jahren

■ Ottenser Traumvermieter will Wohnhaus abreißen, ohne die „Bausubstanz zu tangieren“, und gegen den Willen von Rotgrün Altona Von Heike Haarhoff

Die Respektlosigkeit Hamburger Investoren und der Stadtverwaltung vor MieterInnen-Interessen und dem Schutz stadtteilprägender Architektur kennt offenbar keine Grenzen: Die um 1880 gebauten „Sahlhäuser“ in der Nöltingstraße 26-38 in Ottensen sollen abgerissen und durch ein vierstöckiges Mehrfamilienhaus mit 24 Wohnungen, zusätzlichem Dachgeschoß und Tiefgarage ersetzt werden. Ein entsprechender Vorbescheidsantrag der Grundstücksverwalterin Artus GmbH ging bei der Altonaer Bauprüfabteilung bereits am 16. November ein.

Weder der Bezirk noch die Eigentümerin hielten es indes für nötig, vorab die zehn Mietparteien über die geplante Zerstörung ihres Wohnraums und damit der ältesten Dokumente der frühen Ottenser Industrialisierung zu benachrichtigen. Die erfuhren von ihrem wohl zwangsweisen Tapetenwechsel nach oftmals 20jähriger Wohndauer zufällig und erst in der vergangenen Woche von benachbarten Bezirkspolitikern. „Aber“, ist Mieterin Brigitte S. entschlossen, „wir ziehen hier nicht aus.“

Unterstützung signalisiert die rotgrüne Koalition aus Altona. In der nächsten Bauausschußsitzung am 5. Februar will sie die Empfehlung der Stadtplanungsabteilung, dem Artus-Antrag zuzustimmen, „kompromißlos ablehnen“, versprechen Martin Below (GAL) und Arno Münster (SPD). Ein vierstöckiges Haus widerspreche nicht nur dem gültigen Bebauungsplan, der lediglich drei Geschosse zulasse. Zugleich würden preiswerter Wohnraum (rund elf Mark pro Quadratmeter) vernichtet, Alteingesessene vertrieben und zusätzlicher Autoverkehr den ohnehin dicht besiedelten Stadtteil belasten. Sollte die Verwaltung auf Abriß beharren, werde notfalls die Bezirksversammlung das Vorhaben kippen.

Auch Hamburgs Denkmalschützer halten den Abriß für fragwürdig: „Die Häuser sind seit den 70er Jahren als schutzwürdiges Kulturdenkmal eingestuft“, sagt Behörden-Sprecher Ingo Mix. „Dann sollen sie sie doch endlich richtig unter Denkmalschutz stellen“, wettert Stadtplanungschef Curt Zimmermann: Die Gebäude seien marode, und weil er weder „ästhetischen Wert“ noch städtebauliche Unvereinbarkeit feststellen könne, habe er den Antrag „befürwortet“. Außerdem entstünden durch den Neubau zusätzliche 1280 Quadratmeter Wohnfläche.

„Wohl nicht für uns“, haben zahlreiche Streitereien mit Artus um Drohbriefe und unzulässige Mieterhöhungen die MieterInnen gelehrt, „daß es dem Wohnungsverwalter nur um unseren Rausschmiß geht“. Eigentümer-Vertreter Dietmar Krampe hält sich naturgemäß für einen wahren Traumvermieter: Öffentlich geförderten Wohnungsbau will er Ottensen bescheren, die alten MieterInnen könnten selbstverständlich zurücckommen, und im übrigen sei „noch völlig ungeklärt, ob die alte Bausubstanz überhaupt tangiert werden muß“ oder eine Gebäude-Erhöhung in Frage komme. „Weitere Pläne gibt es nicht“, behauptet Krampe. Bestimmt ist die Zeichnung der künftigen Straßenansicht mit der der Bezirk überzeugt werden sollte, nur ein Mißverständnis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen