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„Endlich ohne Kloß im Hals“

■ Arbeiten unter täglichen Konkursmeldungen. Die Vulkanesen sind die Hiobsbotschaften um ihre Firma leid.

Von der Weser pfeift der Wind eisig über das Vordock. Hunderte von Männern mit bunten Schutzhelmen schweißen und hämmern

unter dem hohen Kran an rostfarbenen Stahlkolossen. Rechts vorne liegt das Heck des künftigen Luxusliners „Costa 2“. Daneben wird Hand an ein schon fast fertiges Containerschiff gelegt Ganz vorn zum Fluß hin wächst das Mittelstück der „Costa“. Am Pier nebenan liegt silbern glänzend eine Bundeswehr-Fregatte und wartet auf einen freien Platz im Dock.

Von Krise ist bei der Vulkan Werft GmbH in Vegesack nichts zu sehen. Im Gegenteil: „Wir schieben hier rund um die Uhr Überstunden“, sagt Jürgen Bullwinkel, der als Vermesser arbeitet und so auf der Werft herumkommt. 1995 seien 100 Leute neu eingestellt worden. 17 Containerschiffe seien bestellt, für jedes habe die Belegschaft acht Wochen Zeit, so der Schiffbauer.

Die Termine für die Costa seien auch „verdammt eng“. Die Koordination mit den anderen an dem Riesenprojekt beteiligten Firmen sei nicht immer problemlos. Da würde aus Zeitdruck zuviel „rumgeschustert“.

Trotzdem: Bisher hätten die Arbeiter in den Blaumännern mit dem orangefarbenen V auf der Brust noch alle Termine eingehalten, sagt Bullwinkel, der seit 26 Jahren dem Wind auf den Vulkan-Docks trotzt. „Solange der Vulkanese Überstunden machen kann, gibt es keine Probleme“. Das Selbstbewußtsein des drahtigen Mannes hat allerdings in den vergangenen Jahre ein paar Risse bekommen. Er weiß, daß er bei einem Konkurs des Vulkan von heute auf morgen auf der Straße stehen kann. „Mit 53 Jahren kriege ich doch nirgendwo anders einen Job“.

Die widersprüchlichen Nachrichten über die Zukunft des Vulkan gehen den stolzen Werft-Arbeitern an die Nieren. Wer ein Haus bauen, ein Auto kaufen oder Urlaub machen will, der überlegt sich das zweimal. Das hätten sie sich vor ein paar Jahren nicht träumen lassen.

Es wurmt die Ur-Vulkanesen von Vegesack, daß alle Hiobsbotschaften über den Vulkan-Verbund direkt mit ihrer Werft in Verbindung gebracht werden. „Keiner denkt doch daran, daß der Verbund auch in Mönchengladbach oder Mecklenburg sitzt“, klagt der Schweißer Frank Prill im Betriebsratsbüro. Da heiße es immer, „jetzt braucht ihr schon wieder Geld“.

Den „Weser-Kurier“ habe er schon abbestellt, sagt Schiffbauer Joachim Gross, seit 20 Jahren beim Vulkan. Zu sehr nervten ihn die Horrormeldungen über den Konzern. Wenigstens verdiene seine Frau gutes Geld, Kinder habe er auch keine. „Da kann ich ein bißchen gelassener sein als viele Kollegen“,so der 37jährige.

„Zu Hause werden wir ständig auf die Konkursgerüchte angesprochen“, erzählt Gerhard Hustedt, Vater von drei Kindern. Frauen machten sich überhaupt viel mehr Sorgen um die Zukunft als die Männer. Schließlich führten sie den Haushalt und hätten mehr mit dem Geld zu tun. „Kaum haben wir ihnen die Sorgen ausgeredet, steht am nächsten Tag schon wieder der nächste Hammer in der Zeitung“, seufzt der 45jährige, seit 24 Jahren Schweißer beim Vulkan.

Seine Frau habe jetzt eine Ausbildung als kaufmännische Angestellte begonnen. Zur Sicherheit. Schließlich hat das Paar gerade an sein Haus angebaut. Die Kinder wollten auch immer nur die teuersten Nike-Klamotten. Da bleibe nicht viel übrig. Ruhiger werde es in den Familien erst, wenn auch beim Vulkan wieder Ordnung eingezogen ist, hofft Hustedt.

Die 1900 Vulkanesen selbst tun einiges für den Erfolg ihrer Firma. Sie wollen den Kampf gegen die Konkurrenz in Korea und Japan aufnehmen. Im Oktober 1995 wurde die Akkordarbeit abgeschafft. Seit der Druck weg ist, seien die Kollegen noch motivierter, erzählt Betriebsrat Prill.

Außerdem sei jetzt die Werft in neun einzelne Fabriken zerlegt. Bis Ende 1996 werde auf der ganzen Werft Gruppenarbeit eingeführt sein. Dadurch solle die Produktivität um 30 Prozent steigen. Aus Schweißern oder Elektrikern würden mehrfach qualifizierte „Werftfacharbeiter“. Das Zusammenwirken von mehreren Berufsgruppen in einer Gruppe verkürze die Wartezeiten in den Hallen, Nacharbeiten fielen oft weg. „Für uns ältere ist die Umstellung nicht leicht“, sagt Jürgen Bullwinkel. Seine Sorge ist nur, daß alle Mühen vielleicht doch vergeblich sein könnten. Dabei wollen die Vulkan-Leute doch nur eines: Endlich wieder in Ruhe arbeiten, ohne einen Kloß im Hals.

Große Hoffnungen richten die Vulkanesen auf das neue „musikalische Duo“ Wagner und Brahms an der Konzernspitze. „Wagner (Neuer Vorstand, Noch-Finanzchef von ABB) soll ja ein Finanzgenie sein, Brahms (Aufsichtsratsvorsitzender, Ex-Vizepräsident der Treuhand) kann vielleicht in Bonn die richtigen Türen öffnen“, hofft Betriebsrat Prill. Klar ist den Schiffbauern aber auch, daß bei einer Sanierung des Vulkan auch Arbeitsplätze abgebaut werden.

Hilflos macht die Vulkanesen, daß sie für einen Protest keine Adressaten ausmachen können. „Die Kollegen würden sofort auf die Straße gehen“, ist Schiffbauer Joachim Gross überzeugt, „aber gegen wen?“.

Letztlich bleibt nur das diffuse Gefühl, Managementfehler auszubaden. „Aber die, die das verzapft haben, sind weg“, sagt Jürgen Bullwinkel bitter. Schuld des geschaßten Vulkan-Chefs Hennemann sei das drohende Debakel aber auch nicht. Der habe sich wenigstens für die Arbeitsplätze eingesetzt, sagt Prill. Allerdings sei der Konzern unter Hennemann zu unübersichtlich geworden. „Da blickt kein Mensch mehr durch“. jof

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