piwik no script img

Auf dem Rücken der Flüchtlinge

Stellungskrieg zwischen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht: Duldungen von Flüchtlingen aus Exjugoslawien hebt die obere Instanz regelmäßig wieder auf  ■ Von Barbara Bollwahn

Oben deckelt unten ist gegenwärtig die Parole beim Verwaltungsgericht. Doch was wie ein absurder juristischer Stellungskrieg zwischen dem Verwaltungsgericht und der nächsthöheren Instanz, dem Oberverwaltungsgericht, anmutet, hat Leidtragende: Ausgetragen wird der Streit nämlich auf dem Rücken von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Die 35. Kammer des Verwaltungsgerichts gibt regelmäßig den Klagen von Flüchtlingen aus Exjugoslawien auf Duldung und Aufenthaltsbefugnis statt. Doch ebenso regelmäßig werden die Urteile der 35. Kammer vom 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts(OVG) aufgehoben. Die 35. Kammer unter Vorsitz von Richter Percy MacLean, die vor knapp anderthalb Jahren eigens für Verfahren von Bürgerkriegsflüchtlingen eingerichtet wurde, hat in dieser Zeit etwa 6.000 Eingänge zu Duldungen und Aufenthaltsbefugnissen bearbeitet. Derzeit sind über 2.000 Verfahren offen.

Während sich der Verwaltungsrichter auf § 55, Absatz 2 Ausländergesetz beruft – „Wenn nicht abgeschoben werden kann, ist eine Duldung zu erteilen“ – versagt das OVG die Duldung. Begründung: Eine freiwillige Rückkehr nach Serbien sei trotz des offiziellen Einreiseverbotes möglich. „Wenn jemand fährt und kommt nicht zurück“, argumentiert der Vorsitzende des 8. Senats und Vizepräsident des OVG, Hermann Küster, „muß er angekommen sein.“ Die Beweisführung des Verwaltungsgerichts, daß es nicht einen einzigen dokumentierten Fall einer freiwilligen Rückkehr mit Reisedokumenten gebe, die einen Aufenthalt in Deutschland erkennen lassen, weist OVG-Richter Küster als „Spekulation“ zurück. Selbst wenn ein Flüchtling freiwillig über Bulgarien oder Ungarn ausreisen würde, so das Verwaltungsgericht, sei das rechtlich keine Abschiebung, da Deutschland mit diesen Ländern keine Abkommen über abgeschobene Flüchtlinge aus Drittstaaten hat. „Bei einer freiwilligen Einreise sind sie Touristen“, so McLean weiter. „Ob sie von dort aus tatsächlich nach Serbien gelangt sind, ist unbekannt.“

Deshalb werde seine Kammer an der bisherigen Rechtsprechung festhalten. Richter McLean hofft, das Oberverwaltungsgericht doch noch überzeugen zu können. „Wir müssen uns doch dazu verhalten“, so der Richter: „Diese Flüchtlinge werden von allen Seiten als schutzwürdig angesehen und können ohnehin nicht abgeschoben werden.“ Das OVG werde, so Küster, bis Ende Januar, wenn die nächste Entscheidung ansteht, sorgfältig prüfen, inwieweit die Möglichkeit der Einreise auf dem Land- und Luftweg gegeben sei und ob Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden.

Richter McLean bezeichnet die Berliner Situation der Flüchtlinge aus der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien – Albaner aus Kosovo, Roma und Muslime aus dem Sandschak – als „außerordentlich unbefriedigend“. Während diese Flüchtlinge bundesweit wegen der Unmöglichkeit der Abschiebung geduldet werden, sei Berlin „eine Besonderheit“.

Wegen des Arbeitsverbotes sind die Flüchtlinge ohne Duldung auf teure Sozialhilfe angewiesen und belasten das Gericht durch ständige Wiederholungsanträge. Sowohl das Abgeordnetenhaus als auch Küster vom Oberverwaltungsgericht appellierten mehrmals an den Innensenator, eine politische Lösung zu finden. Auch der beisitzende Richter der 35. Kammer des Verwaltungsgerichts, Norbert Kunath, ist sauer, daß das enorme Arbeitspensum der Kammer in der Regel zunichte gemacht wird. Dabei mache die Kammer nichts anderes, als den Flüchtlingen das zuzusprechen, was ihnen in anderen Bundesländern gewährt wird.

Kunath, der seit achtzehn Jahren als Beisitzender Richter am Verwaltungsgericht arbeitet und sich seit sechzehn Jahren mit Ausländer- und Asylrecht beschäftigt, beklagt eine „massive Kampagne“ seitens des Oberverwaltungsgerichts.

Die kürzliche Ablehnung seiner Beförderung zum Vorsitzenden Richter mit der Begründung, er hätte sich zu viel mit Ausländerrecht beschäftigt, „verbittert“ den 48jährigen. Noch im Sommer sei ihm von der Justizverwaltung die Bewerbung um den Vorsitz einer Asylkammer angetragen worden, die seit neun Monaten ohne Vorsitzenden Richter ist. Auch Rechtsanwalt Peter Meyer kritisiert das OVG, das die meisten Entscheidungen der 35. Kammer „mit Begründungen ändert, die keine sind“. Rechtsanwalt Meyer findet es „sehr auffällig“, daß Kunath nach so vielen Jahren nicht zum Vorsitzenden Richter berufen wurde: „Das ist ein Zeichen dafür, daß seine Beurteilung von oben nicht so gut ist.“

Für die Anwältin Veronika Arendt-Rohjan haben die verschiedenen Rechtsauffassungen zwischen dem VG und dem OVG eine „politische Dimension“. Ihr „drängt sich der Verdacht auf“, daß Kunaths Nichtbeförderung mit den Entscheidungen der 35. Kammer zu tun hat. „Diese Kammer ist die einzige, die die konsequente Linie vertritt, daß man Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nicht abschieben darf.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen