: Arafats Fatah ist wie eine Amphibie
Nach den palästinesischen Wahlen muß sich die ehemalige Befreiungsorganistaion zur politischen Partei wandeln. Junge Intifada-Aktivisten wollen die Organisation gründlich reformieren ■ Aus Jerusalem Karim El-Gawhary
Auf den ersten Blick scheint das Ergebnis der palästinensischen Legislativratswahlen eindeutig. Jassir Arafats Fatah wird erwartungsgemäß die politische Macht in den Händen halten. Ist der neue Rat also ein willenloses Instrument Arafats?
Ganz so einfach sei die Sache nicht, argumentiert Rafiq Nadscheh, Gewinner der Wahlen in der im Westjordanland gelegenen Stadt Hebron. Der ehemaliger PLO-Botschafter in Saudi-Arabien ist bekannt dafür, daß er nicht alle Entscheidungen Arafats unwidersprochen läßt – einer der Gründe für seine enorme Popularität in Hebron. „Fatah, das ist ein Garten mit 100 verschiedenen Blumen und einem Gärtner: Jassir Arafat. Manche der Blumen haben Dornen, und es dürfte schwierig sein, sie ohne Probleme zu pflücken“, umschreibt Nadscheh die innere Dynamik der Fatah.
Marwan Baghuti, Abdel Fatah al-Hamajel und Qadura Faris, alle drei Wahlgewinner im ebenfalls im Westjordanland gelegenen Ramallah, scheinen ihm recht zu geben. Sie alle entstammen einer neuen Generation von jungen Fatah-Aktivisten, die sich während der Intifada, dem palästinensischen Aufstand gegen die israelische Besatzung, einen Namen gemacht haben. Allen dreien schwebt eine „neue politische Ordnung mit mehr Demokratie“ vor, wie es Marwan Baghuti, Generalsekretär der Fatah im Westjordanland, beschreibt. Besonders zufrieden ist er, daß viele junge Intifada-Aktivisten in den Legislativrat gewählt wurden.
Baghuti erwartet, daß sich in Zukunft mehrere politische Blocks innerhalb der Fatah bilden werden. „Das Wahlergebnis wird die politische Landschaft in und außerhalb des Rates nachhaltig verändern, und es könnten sich richtige politische Parteien entwickeln“, hofft er. Auch der junge Fatah-Akvisit Abdel Fatah Hamajel glaubt, daß das Wahlergebnis den Demokratisierungsprozeß innerhalb der Fatah beschleunigen wird. „Es wird Widersprüche zwischen den alten Entscheidungsträgern und den jungen Intifada-Aktivisten geben“, prognostiziert er. Letztere würden darum kämpfen, in Zukunft mehr an den Entscheidungen beteiligt zu werden.
Hamajel hofft nun auf eine Koalition zwischen Intifada-Aktivisten der Fatah und jenen Kräften, die den israelisch-palästinensischen Vereinbarungen „konstruktiv oppositionell“ gegenüberstehen. Zu letzteren zählt er Leute wie den prominenten Arafat-Kritiker Haider Abdel Schafi, der in Gaza-Stadt mit den meisten Stimmen gewählt wurden.
Fatah und mit ihr alle anderen politischen Bewegungen innerhalb und außerhalb der PLO stehen mit den Osloer Abkommen, der Verwaltung der Autonomiegebiete und dem Legislativrat vor einer neuen politischen Situation. So mancher spricht davon, daß sich die Bewegung aus der Zeit des Befreiungskampfes nun in eine moderne politische Partei umwandeln müsse. „Das neue Stadium erfordert neue offene Gedanken“, erklärt Rafiq Nadscheh in Hebron. „Fatah ist wie eine Amphibie, die sich zwischen Wasser und Land entscheiden muß. Sie ist in einem Prozeß von einer politischen Bewegung zu einer politischen Partei. Noch spricht sie von Politik und Befreiungskampf gleichzeitig.“ Doch der Umbruch sei noch keineswegs endgültig, warnt Nadscheh. „Die Amphibie könnte sich jederzeit wieder dazu entscheiden, ins Wasser zurückzukriechen.“
Auch die Opposition außerhalb des Legislativrates – Islamisten und Linke – dürfte sich nun Gedanken über ihre organisatorische Zukunft machen. Ihre Strategie, die Wahl zu boykottieren, hatte sich aufgrund der hohen Wahlbeteiligung als fatale Fehlentscheidung erwiesen. „Sie führen heiße Debatten untereinander“, lächelt Baghuti. Manche der Oppositionsgruppen würden sich innerhalb des nächsten Jahres spalten. Für Qadura Faris ist die alte, linke Opposition, wie die Volksfront (PFLP) oder die Demokratische Front (DFLP), nur noch ein Stück palästinensische Tradition. „Wer sich aus dem Geschäft der Tagespolitik ausschließt, dessen historische Rolle ist schnell zu Ende.“ Die islamistische Hamas-Bewegung bewertet er dagegen vorsichtiger. Ihre Stärke oder Schwäche hänge vom Fortschritt der Verhandlungen mit Israel ab.
Welche Rolle der neue Legislativrat dabei spielen wird, ist die Gretchenfrage für die palästinensische Zukunft. Viele fürchten, daß Arafat je nach Bedarf den neu gewählten Legislativrat und den alten Palästinensischen Nationalrat (PNC) der PLO, in dem alle Fraktionen und auch die palästinensischen Flüchtlinge vertreten sind, für seine Zwecke einsetzen wird. „Wir müssen aufpassen, daß der neue Rat nicht zur Manövriermasse Arafats wird“, warnt Mustafa Baghuti, Kandidat der ex- kommunistischen „Palästinensischen Volkspartei“ (PPP) und einer der Wahlverlierer in Ramallah. Die drei Intifada-Aktivisten der Fatah und Wahlgewinner in Ramallah sind sich dagegen einig: Der neue Rat wird ein Instrument, in dem die Verhandlungen mit Israel demokratisch überwacht und vor dem die Unterhändler Rechenschaft ablegen müssen – hoffen sie jedenfalls.
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