: Selbstkorrektur
■ betr.: „Urteile und Vorurteile“ (Der Lübecker Anschlag und die Einseitigkeit der Medien), Kom mentar von Christian Semler, taz vom 23. 1. 96
Als ein sporadischer Leser der taz fand ich den kritischen Kommentar zu dem (Medien-)Ereignis in Lübeck erfreulich. Den Kommentar des Autors, der die „... Sehnsucht nach geordneten Weltbildern ...“ und den „... Unwille(n), eine schlechte Wirklichkeit so zur Kenntnis zu nehmen, wie sie ist ...“ treffend analysiert, möchte ich um eine provokante These erweitern:
Das vorschnelle Einordnen in ein Weltbild – die Projektion der Schuld allein auf Mitglieder neonazistischer Gruppen – schützt davor, die in unserer Gesellschaft weitverbreitete, latente Ausländerfeindlichkeit wahrnehmen zu müssen. Weiter schützt sie jedes einzelne Individuum (ob „Linke“ oder „Rechte“) davor, sich mit den eigenen aggressiven Anteilen gegenüber Fremdem und Fremden auseinandersetzen zu müssen. Das ändert nichts daran, daß die Straftaten neonazistischer Täter mit den Mitteln des Rechtsstaates zu ahnden sind. Statt dem klugen Zitat des Moralisten Gracián ein Grundsatz im Strafverfahren: Bis zum Beweis des Gegenteils ist von der Unschuld der Tatverdächtigen auszugehen – ein Prinzip, das auch für den verhafteten Libanesen gilt.
Staatliche Institutionen (Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte) gehen mit den Grundwerten unserer Verfassung manchesmal sorgsamer um, als dies manche öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, Teile der Medien und Teile der Bevölkerung tun. Jürgen Thorwart, Eichenau
Als langjährigem Journalisten und – von FAZ bis taz – vielkonsumierendem Zeitungsleser ist mir etwas aufgefallen, was Seltenheitswert hat und mir Respekt abnötigt. Die taz hat sich, was ihre Kommentierung des Bundesanschlags von Lübeck betrifft, in angemessener und glaubwürdiger Weise selbst korrigiert. Schon kürzlich fiel mir auf, daß die taz eine negative Beurteilung durch den Presserat abdruckte – wenngleich mit ironischer Kommentierung, warum auch nicht. Wenn dieses Beispiel Schule macht, würde sich vielleicht etwas daran ändern, daß das Ansehen der Journalistenzunft bei den Mitmenschen generell auch nicht besser ist als das der von uns so oft und gern und oft genug ja auch nicht zu Unrecht kritisierten Politiker. Peter Voß, Intendant des
Südwestfunks, Baden-Baden
Es gab immer Vorurteile gegen Ausländer, nur kann man diese entschärfen oder das Gegenteil tun. In den Medien werden regelmäßig Straftaten von Ausländern bei Benennung des Herkunftslandes erwähnt. Andere reden über Füchtlinge ohne Personen zu kennen. Um das gesellschaftliche Klima zu verbessern, muß man den Austausch zu „Fremden“ suchen, erst dann unterscheidet man sich von der Arroganz vieler Politiker und Zeitungsschreiber.
[...] Machen Sie doch eine Seite „Nachrichten“ und warten Sie ab, auch bei Gewalttaten, denn es gibt Gruppen, die Schuldige wollen, nicht nur der Staat. [...] Monika Imhoff, Stuttgart
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen