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„Wahlrechts-Rambo“ gegen „Alzheimer“

■ Per Wahlrechtsänderung will Bayern kleinere Parteien ausbooten

München (taz) – Niederbayern gilt als schwärzeste Provinz des Freistaats. Die CSU fährt hier exzellente Ergebnisse ein; SPD und Grüne schaffen in manchen Landkreisen gemeinsam nicht einmal 25 Prozent. Eine kleine, wertkonservative Partei macht der CSU allerdings Sorgen: die ÖDP. Denn im katholischen Milieu Niederbayerns legen die Ökologischen Demokraten langsam, aber sicher zu. So lag die Partei in manchen Wahlkreisen bei den Kommunalwahlen 1992 deutlich über fünf Prozent, und wer ÖDP wählt, stammt – zumindest in Niederbayern – in der Regel nicht aus dem rot-grünen Lager, sondern aus der CSU-Anhängerschaft.

Diese mildgrüne Gefahr hat die CSU bei der Kommunalwahl in sechs Wochen weitgehend gebannt. Denn durch zwei Wahlrechtsänderungen ist es ihr gelungen, enorme Hürden für kleinere Parteien zu errichten. Bernhard Suttner, Landeschef der ÖDP, will zum Beispiel in seinem Heimatdorf Windberg für den Gemeinderat kandidieren. Damit seine Liste auf dem Wahlzettel erscheinen darf, braucht er 50 Sympathisanten, die mit einer Unterschrift im Wahlamt klarmachen, daß sie seine Liste für wählbar halten. Nun hat Windberg allerdings nur 700 Einwohner, und die neue Vorschrift gleicht deshalb einer Siebenprozenthürde – oder, so Suttner, einer „Notbremse, die die CSU gegen kleinere Parteien gezogen hat“.

Doch das Innenministerium hat sich noch andere Kniffe einfallen lassen. Will eine Partei in einen Kreistag, muß sie ebenfalls Unterstützer finden. Von denen wird gleich der Besuch zweier Ämter verlangt: Als erstes müssen sie sich bei ihrer Gemeinde in ein Formular eintragen, danach mit einer Bescheinigung zum Landratsamt reisen – was in manchen Landkreisen schon dreißig oder fünfzig Kilometer Wegstrecke bedeutet. Erst wenn beides erledigt ist, gilt das als „Unterstützung.“

Weil die Öffnungszeiten der Landratsämter diesen Hürdenlauf zusätzlich erschweren, haben ein paar Landräte mit demokratischer Gesinnung beschlossen, für die Berufstätigen samstags ein paar zusätzliche Schalterstunden einzurichten. Doch das war, wie sich schnell zeigte, nicht erwünscht: „Der Innenminister hat daraufhin die Anweisung gegeben, daß die Landratsämter am Samstag geschlossen bleiben“, erzählt Suttner. Die ÖDP spricht seither vom „Wahlrechts-Rambo“ Günther Beckstein und hat in Karlsruhe eine Verfassungsklage eingereicht. Offiziell gerechtfertigt werden die Wahlrechtsänderungen mit der „drohenden Zersplitterung des politischen Spektrums“, so ein Sprecher des Innenministeriums. Denn von Wahl zu Wahl seien in Bayern mehr Gruppen angetreten, was unter anderem zu riesigen Stimmzetteln führte. In München beispielsweise erreichte der Stimmzettel 1992 dank 21 Kandidatenlisten eine Breite von fast einem Meter fünfzig. Diesmal schrumpft der Münchner Stimmzettel auf die halbe Breite; etliche Parteien, darunter die NPD, treten nicht mehr an.

Trotzdem wird der Wahlrechts- trick die Erosion der großen Parteien nicht stoppen, sondern nur verzögern. Auch in München haben zwei nicht im Stadtrat vertretene Gruppen genügend „Unterstützer“ gefunden: Eine rechte Gruppierung um einen ehemaligen FDP-Stadtrat und die schwul- lesbische Initiative „Rosa Liste“, die 1.200 Unterstützer mobilisieren konnte.

Auch in Regensburg hat eine neue Gruppe gute Chancen: Die „Liste Alzheimer“ mit ihrem Slogan „Vergessen wir, was war“. Politische Aussagen machen die Polit-Clowns um den Wirt Karl- Heinz Mierswa nicht, sie wollen „den etablierten Parteien den Spiegel vorhalten“. Genug Unterstützer hat die Anarcho-Truppe, doch hinzu kam auch der Ärger mit dem Staatsanwalt. Denn Mierswa hat auf einem Flugblatt jedem Alzheimer-Unterstützer einen Schweinsbraten in seinem Gasthaus versprochen. Möglicherweise sieht die Justiz das als Bestechung von Wählern. Mierswa verspricht jedenfalls schon heute: „Ich übernehme die volle politische Verantwortung.“ Felix Berth

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