piwik no script img

■ Rückblick auf die 20er JahreZankapfel Groß-Berlin

Berlin, die heiratswillige Metropole, hat eine lange Fusionsgeschichte hinter sich. Das ursprüngliche Berlin, seit 1701 königliche Residenzstadt und seit 1871 Hauptstadt des Deutschen Reichs, bestand nur aus den heutigen Bezirken Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Hallesches Tor (Kreuzberg). Unmittelbar daran angrenzende Städte wie Charlottenburg oder Coelln einzugemeinden scheiterte zum Ende des 19. Jahrhunderts mehrfach. Einer der Gründe war schon damals die Angst vor einem „Roten Meer“, das sich mehr auf die sozialdemokratisch und liberal wählenden Berliner bezog, denn auf das rote Brandenburg.

Nur halb erfolgreich war auch der Einigungsversuch, der 1912 zum „Zweckverband Groß-Berlin“ führte. Dem fragilen Bündnis gehörten neben Berlin die Städte Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf, Neukölln, Lichtenberg und Spandau sowie die beiden Kreise Teltow und Niederbarnim an.

Die Kompetenzen des Zweckverbandes beschränkten sich auf die einer rein technischen Organisationseinheit. Es ging um Raumplanung, Waldbewirtschaftung und Verkehr. Dem Versorgungschaos einer städtischen Kriegswirtschaft war der Zweckverband nicht gewachsen.

Erst 1920 entstand das politisches Gebilde Groß-Berlin. Es war eine schwere Geburt, denn die preußische Landesversammlung verabschiedete mit der dünnen Mehrheit von 164:148 Stimmen das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“. Vor allem SPD und USPD schufen mit ihrem Votum eine echte Großsstadt mit 3,8 Millionen Einwohnern, bald nur noch Groß-Berlin genannt.

Die Vorteile lagen in der Daseinsvorsorge. Groß-Berlin hatte es leichter, Versorgungsbetriebe wie Gasag, Bewag und BVG zu bilden und zu betreiben, die fortan das Leben der BerlinerInnen erleichterten.

In seiner Größe und Verwaltungsstruktur geht das heutige Berlin auf das in den Zwanzigern geschaffene Groß-Berlin zurück. Lediglich die Alliierten und die Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung nahmen noch Veränderungen vor, etwa durch die Gründung der drei neuen Stadtbezirke Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf.

Die im Mai zur Entscheidung anstehende Fusion ist aber auch bundespolitisch von Bedeutung. Verfassungsrechtlich handelt es sich nämlich um eine Länderneugliederung. Nur einmal in der jüngeren deutschen Geschichte verlief so etwas erfolgreich: Als sich, nach einem Volksentscheid, 1952 das Land Baden-Württemberg gründete. Alle anderen Versuche von Länderneugliederungen scheiterten bislang. Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen