■ Kommentare Menschenschmuggel ist nicht unbedingt inhuman
: Himmelsgeschenk

Es ist leicht, Menschenschmuggel zu verurteilen. Das kann aber nur jemand tun, der selbst nie in die Lage derer gekommen ist, die Tausende von Kilometern ziehen, nur um zu überleben. Uns fällt es schwer zu verstehen, wieso beispielsweise Deutsche nicht einsehen, daß Menschenschmuggel oft mehr Menschlichkeit offenbart als so manche Solidaritätsbekundung. Waren es nicht Menschenschleuser, die Tausende Juden und Oppositionelle aus dem Hitlerreich herausgebracht haben?

Viele Länder, aus denen heute Menschen fliehen, haben diktatorische Regime. Um politisches Asyl zu erhalten, muß einer aber zuerst einmal nachweisen, daß er konkret bedroht wäre, wenn er zu Hause bliebe. Das heißt, er muß erst im politischen Sinne straffällig geworden sein, um Aussicht auf Asyl zu haben. Angst alleine genügt nicht.

Aber auch wenn man die politische Einschränkung wegläßt: Ist der Versuch, in anderen Ländern zu überleben, ein solches Delikt, daß man diese Leute sofort wieder zurückschicken muß? Es ist leicht, die körperliche Verfassung der Menschen, die wie Skelette aus Lastwagen kriechen, auf die lange Fahrt ohne ausreichende Nahrung zurückzuführen. Als wir im letzten Monat 30 Personen betreuten, die bei der Einreise nach Italien erwischt worden waren, schrien uns die Zöllner an, wir seien Unmenschen, weil wir die Schmuggelei verteidigten. Wo doch die Schieber diese Leute auf der Fahrt hätten halb verhungern lassen. Da hat sich einer gemeldet, aus Ruanda, der etwas Italienisch konnte. Der hat gesagt: „Verstehen Sie doch, wir sind zwar halb erstickt, aber seit Monaten hatten wir erstmals jeden Tag wenigstens etwas zu essen. Für uns war das wie ein Geschenk vom Himmel.“

Wenn diese Leute nun zurückgeschickt werden, stehen sie erneut ohne Nahrung da. Das soll nicht die Schmuggler in Schutz nehmen, aber es zeigt, wie die Dinge liegen. Die meisten unserer Hilfsorganisationen sind halblegal oder gar illegal. Denn viele der Immigranten werden von ihren Schiebern schon darauf aufmerksam gemacht, daß die meisten offiziellen Hilfsorganisationen von Spitzeln durchsetzt sind. Einerseits von italienischen, die die Illegalen und die Schmuggler erwischen möchten. Andererseits aus den Heimatländern, die Oppositionelle aufspüren wollen. Da ist der illegale Charakter von Organisationen für die Immigranten oft ein vertrauensbildender Faktor.

Ich weiß, für Europäer klingt es absurd, daß Illegale nun auch noch von illegalen Organisationen betreut werden. Aber was ist nicht absurd an einer Welt, von der ein Viertel im Überfluß lebt und der Rest vor Hunger krepiert? Arianna Mebutu

Die Autorin arbeitet für die in Rom ansässige Organisation „Hilfe ohne Nachfragen“ (ASD) in Afghanistan mit zurückgeschickten MigrantInnen.