: In Kreuth bei den Räubern
■ Koalition macht die Dicken in Deutschland noch fetter
Die Gang war komplett versammelt. Im Wildbad Kreuth trafen sich am Wochenende CDU und CSU und verabredeten die Pläne zur Täuschung der Wählerinnen und Wähler und zur Beseitigung sozialer Besitzstände.
Zuerst versprach die Union mit ihrem Bundesfinanzminister Waigel der Steuersenkerpartei FDP, den Solidarzuschlag kräftig zu kürzen. Zumindest wenn andere, nämlich die sozialdemokratisch regierten Länder, dafür aufkommen. Die Sozis werden diese Zumutung zwar ziemlich sicher ablehnen. Aber das stört überhaupt nicht. Denn die FDP hat sich vor den anstehenden Wahlen trotzdem glänzend verkauft, die Union die Koalition am Leben erhalten – und die Opposition guckt zu.
Diese selbst konservativen Kommentatoren peinliche Aufführung könnte man vergessen, würde nicht hinter den Kulissen ein zweites, viel perfideres Stück gegeben. Unter den Überschriften „Bündnis für Arbeit“ und Arbeitsmarktpolitik versucht die Koalition aus Union und FDP die Umverteilung von unten nach oben weiterzutreiben. Die Malocher sollen künftig Schicht- und Sonntagszuschläge versteuern, die in Sonntagsreden hochgehaltene christliche Familie für Wohn- und Erziehungsgeld Steuern bezahlen, und anschließend sollen entnervte Arbeitnehmer wieder lange Steuererklärungen erarbeiten, weil ihnen der Freibetrag beim Lohnsteuerjahresausgleich halbiert wird.
Vom Ertrag möchten die Koalitionäre dann die Spitzensteuersätze senken, die Vermögenssteuer abschaffen und Abschreibungskünstlern weiter Milliarden für die persönliche Sanierung Ost zuschieben, kurz die Drittelgesellschaft bedienen.
Daß die Debatte um den Solidarzuschlag etwas mit dem Fitmachen der deutschen Wirtschaft für den internationalen Wettbewerb zu tun hat, glaubt nicht einmal der BDI. Aber auch ihm fehlt es an Konzepten, die die bundesdeutsche Wirtschaft schneller statt fetter machen. In Kreuth hat die Koalition zwei Stücke ausgesonnen, die dumm, unsozial und zynisch sind. Die Rezepte von Kreuth bleiben wirkungslos angesichts der zentralen Probleme: Wo bekommt diese Gesellschaft die notwendige Arbeit her? Wie kann man sie zukunftsfähig machen?
Geld zu haben, wird attraktiver mit dem sich abzeichnenden Programm der Koalition. Arbeitsplätze anzubieten nicht, Unternehmer zu sein schon gar nicht. Der Wahlkampf war den Räubern von Kreuth das Motiv. Dagegen hilft nur abwählen. Hermann-Josef Tenhagen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen