: Schon wieder schweigen müssen
■ Unperson: Die belarussische Schriftstellerin Bolha Ipatava
Vor 25 Jahren schrieb Bolha Ipatava eine relativ kleine Arbeit über Euphrosyne, eine eher unbedeutende Heilige aus dem 12. Jahrhundert. Sie war keine Märtyrerin gewesen, nur eine kleine Nonne, die sich besonders um die Alphabetisierung und das Bildungswesen im Bezirk Polatsak verdient gemacht hatte. Im selben Jahr wurde Ipatava zusammen mit vier männlichen Kollegen der begehrte Literaturpreis der Jungen Kommunisten zuerkannt.
Dann aber verweigerte sie aus Protest gegen die brutale Russifizierung des Landes unter Breschnew die Annahme – und wurde damit zu einem Dorn im Fleisch der nationalen Intelligentsia. Die einflußreiche Parteizeitung Sovietskaja Belarussja veröffentlichte vernichtende Artikel über sie und ihre Arbeit.
Immerhin war es das erste Mal gewesen, sagt sie, daß jemand seit den sowjetischen Zeiten wieder über besagte Euphrosyne gesprochen hatte. „Atheismus war Gesetz und Religion tabu, und Belorussisches stand ganz gewiß auch nicht an. Über eine Nonne zu schreiben war fast, als ob man eine Eloge auf die Zaren gehalten hätte.“ Und selbstironisch setzt sie im Rückblick hinzu: „Ich war damals sehr jung.“
1986 war sie zwar nicht mehr ganz so jung, aber mindestens ebenso eigen und hartnäckig: Als eine der ersten ging sie freiwillig in die durch den Reaktorunfall von Tschernobyl verstrahlten Gebiete von Belarus – und erhielt dafür den sowjetischen Orden für besondere Verdienste. Dort las sie auch erstmals wieder öffentlich ihre Gedichte vor.
Dazwischen jedoch war sie für die komplette literarische Welt ihres Landes zur Unperson geworden und außerstande, ein einziges Wort zu veröffentlichen – was sie vom Schreiben natürlich nicht abgehalten hat. Als mit der Politik der Perestroika endlich die Gelegenheit kam, war sie eine der ersten, die sich mit ganzer Leidenschaft in die Debatte um die nationale Identität stürzte, zuerst im Fernsehen, dann aber auch mit ihrer eigenen Zeitschrift Kultura. Mit aller Kraft hat sie sich seither für die Wiederbelebung der eigenen Sprache, Kultur und Geschichte eingesetzt und dafür, daß alles, was Belarus genommen wurde, ihm wiedergegeben werden muß.
Wie nicht anders zu erwarten war, geriet zuerst ihre Fernsehsendung, dann auch Kultura unter Beschuß. Inzwischen ist sie wieder zum Schweigen verurteilt über alles, was ihr wichtig ist. Auch der Mißerfolg der für die Unabhängigkeit einstehenden Partei BNF hat sie schwer enttäuscht. Das einzige, was am Ende wiederum geblieben ist, sind ihre Gedichte. Judith Vidal-Hall
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen