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Der Himmel über Finn

„How to Make an American Quilt“, ein von Steven Spielberg produzierter Film von Jocelyn Moorhouse, recycelt praktisch alle amerikanischen Schauspielerinnen, die es wert sind  ■ Von Mariam Niroumand

Alle äußeren Daten sprechen gegen diesen Film. Man sieht meist nur Frauen, und zwar ältere, und zwar bei verschiedensten Formen der Handarbeit – eine Art Jurassic Park für Jane-Austen-Fans also. Man sieht bestickte Bauernblusen, kalifornische Holzveranden und Trockenblumensträuße. Außerdem handelt es sich noch um eine Form von Handarbeit, die sich der grindige Sparfritze Benjamin Franklin ausgedacht haben könnte („For age and want, save while you may/ No morning sun lasts a whole day“): Die Damen stellen einen Quilt her, ein geheimnisvolles Wort für das, was wir forsch als Patchwork-Decke bezeichnen würden. Hierzu verwenden sie, und das weiß ja jeder, Stoffreste von Dingen, die sich als Ganzes einfach nicht mehr sehen lassen können. Trüge man es dennoch, hieße es auf der Straße: Guck mal Mammi, die Frau da trägt ihren Pullover als Halskrause.

Aber im festen Vertrauen darauf, daß hierzulande dem Äußeren ohnehin nicht über den zur Täuschung funkelnden Weg getraut wird – da es ja mehr so auf innere Werte ankommt (so würde man zum Beispiel von einem Mann hier bei einem Handarbeitskränzchen selten sagen: Er hat einen schönen Hintern. Man sagt lieber: Er hat schöne Hände) – da das alles so ist, kann ich ja jetzt in Ruhe zu schwärmen anfangen.

Zunächst mal ist es schön, Winona wiederzusehen. Sie kommt an, wie wir sie kennen, hinter einer Windschutzscheibe, kaugummikauend, etwas zögerlich äugend. Aber als sie aus dem VW aussteigt, in Kalifornien bei ihren Tanten? Oh, là, là! Ms. Ryder zeigt zum ersten Mal einen nicht unerheblichen Popo und zwei nicht unerhebliche von den anderen beiden special effects. Solchermaßen wurde aus der Kumpeline also mir nichts, dir nichts eine sogenannte Frau. Sie heißt hier Finn, ein echter Hippiename von ihrer Hip-Mom, die fantastisch leicht verwahrlost von Kate Capshaw in heller Lederfransenjacke gegeben wird. Finn läßt sich, Mai war's, von Herrn Boyfriend Sam in den schönen Ort Santa Paula, Kalifornien, fahren, quer durch die Orangenhaine, um die dritte nach zwei abgebrochenen Doktorarbeiten in Angriff zu nehmen. Zum Abschied schenkt sie ihm eine selbstaufgenomme Kasette: „Alle Lieder haben was mit Straße zu tun.“ Im September soll er sie wieder abholen ...

Der Film wurde von Spielbergs Produktionsfirma Amblin Entertainment produziert, und so ist das allererste Bild, das man vom Quilt- Machen sieht, ein Spielberg-Bild: in einer Rückblende sitzt die kleine, dicke Finn zwischen den Beinen ihrer Tanten und deren Freundinnen, die den Quilt zwischen sich aufgespannt haben, der Finn so zum Himmel wird. „Mit ihren Beinen neben mir fühlte ich mich wie in einem Wald freundlicher Riesen, die Botschaften an den Himmel nähen.“

Gefilmt hat der Kameramann von „Schindlers Liste“, Janusz Kaminski, dem die Linse immer ein bißchen zur Laterna magica wird. Man sieht alles mit bereitwilligen Kinderaugen vorbeipromenieren. Natürlich ist da Folklore: die Quiltgruppe, fünf stattliche Damen in Form von Ann Bancroft als Finns Großtante Glady Joe, Ellen Burstyn („Der Exorzist“!) als Oma Hy (ja: Hy), Ema, Sophie und Constance werden geleitet von Black Mama Anna, und man hat die ganze Zeit Angst, sie könnte einmal anfangen, „Swing Low, Sweet Chariot“ zu summen. Und dabei Tränen in die Augen zu bekommen. Aber das geschieht nicht. Statt dessen wird, indem jede ihr Stückwerk in die Kollekte einflickt, ein Stück Kulturgeschichte des Privaten erzählt, wie es sich nur in Amerika zugetragen haben kann („How to Make an American Quilt“).

Dabei geht es, und das ist einfach faszinierend, ständig um die Unterschiede zwischen Kunst und Handwerk: Als Glady Joe erfuhr, daß ihr Mann einen Tröstungsbeischlaf mit ihrer Schwester hatte, während deren Mann im Sterben lag, zerschlug sie den in Jahren gesammelten Bestand an Porzellanfigürchen (mit einigen von ihnen hätte man einen Menschen erschlagen können), um die Scherben hernach zu einer Art Gipsmosaik an der Wand wieder zusammenzupappen: Kunsthandwerk. Als Sophie, die eigentlich Talente zur Kunstspringerin hatte, einen Gesteinsforscher heiratete, baute der ihr zum Trost im Garten ein Planschbecken – das sie aber nur kränkte, statt zu helfen: Handwerk. Ema lebt mit einem Maler zusammen. Irgendwie tut sie deshalb allen leid: Kunst. Wenn die Gruppe zum Quilt-Machen zusammenkommt, gibt Anna, Tochter einer Sklavin (haut das zeitlich noch hin?) und eines Weißen das Thema vor. Der Quilt, der in diesem Film hergestellt wird, heißt, bitte sehr, „Where love resides“, wir sind tatsächlich in Austen-Country, aber so ist es doch andererseits schön und richtig. Denn das wollen in Wahrheit alle Menschen wissen, auch Finn, der Sam gerade einen Heiratsantrag gemacht hat. Sam ist übrigens Tischler; und ihre Beziehung friert für einen kurzen Moment ein, als er ihr einen Bauplan für ihr gemeinsames Haus vorlegt, in dem für sie kein Arbeitszimmer eingeplant ist. Der Quilt wird ihr Hochzeitsquilt.

Die aus Melbourne stammende Jocelyn Moorhouse trat vor einigen Jahren mit dem Low-budget- Film „Proof“ auf den Plan (seither nur Produktion von „Muriels Hochzeit, Regisseur: Ihr Ehemann P.J. Hogan). „Proof“ erzählt die Geschichte eines Blinden, der Fotos macht. Nun stellen Sie sich so etwas mal von Wim Wenders inszeniert vor. Zu wie vielen sehphilosophischen Äußerungen es da wieder gekommen wäre! In „Proof“ sieht man zum Beispiel, wie der Protagonist mit einem neu gewonnenen Freund, einem netten Pizzabäcker, in eine Tierarztpraxis geht und dort alles fotografiert, was sich ihm durch Sinneseindruck aufdrängt: er riecht ein Parfüm: Aha! Eine Frau. Er hört es an der Decke flirren: aha, defekter Leuchter. Er hört jemanden schwer atmen: ein Dicker. Später läßt er sich von seinem Freund die Bilder beschreiben, um auf diese Weise etwas in der Hand zu haben, das beweist, daß auch wirklich, wirklich geschehen ist, was er gesehen hat (die Bilder aus der Tierarztpraxis, die wir später sehen, zeigen, wie die Wartenden im Lauf der Zeit vor seiner Kamera, wegen seiner Kamera! zusammenfanden und eine ziemliche Gaudi hatten auf diese Weise). Kunst? Handwerk?

Natürlich ist „How to make ...“ gebaut wie ein Quilt, aus acht biographischen Fragmenten der einzelnen Damen, die ebenfalls nach Spielbergen führen. Das Thema von Finns dritter Magisterarbeit heißt lustigerweise „Frauenhandarbeit im internationalen Vergleich“, ein typischer Titel aus den Zeiten des Cross-cultural- Wahns, in dem es eben als rassistisch gelte, nur beschreiben zu wollen, wie man einen amerikanischen Quilt macht.

Ein plötzlicher Sturm weht ihr das bislang Geschriebene hinaus in die Gärten und Olivenhaine („Ich traue Computern nicht. Sie verlieren Dinge“), gerade als sie eine Affäre mit einem Sexobjekt anfing. Gerade als ihre Mutter, die ihr jahrelang erzählt hatte, wie unhip das Heiraten ist und was für ein Knilch ihr Vater war, ihr eröffnet, daß sie wieder heiraten wollen (und natürlich erwartet, daß Finn ihr gleich um den Hals fällt). Gerade als sie entschlossen war, ihre eigene vor der Tür stehende Ehe für Blödsinn zu halten („Was hältst du von Sam, Mom?“). Verzweifelt stolpert Finn den einzelnen Blättern hinterher und spielt natürlich mit dem Gedanken, die vierte Arbeit anzufangen. Oma Hy kommentiert, mißbilligend und weit ins Philosophische hineinlangend, das Leben als Kunstwerk verstehend: „Schön, wenn man sich so leicht von etwas lossagen kann ...“

Und wenn man es genau besieht, hatte Benjamin Franklins Sparsamkeit – das eigentliche Leitmotiv aller Quilts – ja auch etwas mit Unabhängigkeit zu tun: Die amerikanischen Kolonien dürfen sich nicht bei ihren europäischen Handelspartnern verschulden. Dann geraten sie auch nicht in deren Tyrannei.

„How to Make an American Quilt“. Regie: Jocelyn Moorhouse. Kamera: Janusz Kaminski. Mit Winona Ryder, Ann Bancroft, Ellen Burstyn u.a. USA, 1995, 109 Min.

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