Hochnäsig und schön

■ Heut' gibt sich Vicky Freifrau von Ruffin die Ehre Von Jan Feddersen

Es gab mal eine Zeit, da war Mitklatschen bei musikalischen Darbietungen eine Übung, die nur in Bierzelten zu beobachten war. Das war zuletzt in den sechziger Jahren so. Seitdem gibt es einen deutschen Schlager, der nie mit Pop verwechselt wird und deswegen nicht zu Unrecht so schlecht beleumundet ist. Nur wenige Sängerinnen und Sänger gab es, die sich strikt weigerten, Schunkelzeug zu intonieren. Eine davon war die gebürtige Griechin Vicky Leandros.

In Gestik und Mimik, vor allem aber in puncto Sangesmaterial war sie geborene Feindin von Komponisten und Produzenten wie Horst Nussbaum, der in der deutschen Glamourszene eher unter dem Namen Jack White ein Begriff ist – und nebenher als Sponsor bei Tennis Borussia Berlin eigenen Bundesligagrößenwahn auslebte und daran bekanntlich scheiterte.

Leandros hätte, wäre sie fähig zu Abscheu und Ekel, ihn nicht einmal mit blasiertester Miene angeschaut: Sie wollte schließlich Weltkarriere machen, und das Laute und Devote war ihr Stil sowieso nie. Die Sängerin liebte, wie alle anständigen Leute, die die Welt im Blick haben, das Geld – das Publikum war ihr egal.

Ihr Vater Leo Leandros, unseren Eltern als Sänger von „Mustafa“ nicht ungeläufig, förderte sie, lancierte, daß sie 1967 den luxemburgischen Grand Prix d'Eurovision-Beitrag sang. Sie trällerte sich mit „L'amour est bleu“ auf Platz fünf. Sie war beliebt bei allen Generationen, zumal ihre Landsfrau Nana Mouskouri hierzulande schon das Terrain bereitet hatte für Schlagertragödinnen. Vicky Leandros – das war quälend-süßliche Distanz im Timbre, leichte und nasale Arroganz im Klang und in der Ausstrahlung das Gegenteil von der Kumpelin, mit der man gerne Pferde stehlen würde – und schön wie eine Göttin. 1972 schließlich – nicht mal 20 Jahre jung – siegte sie beim europäischen Schlagerwettbewerb mit „Après toi“. Sie soll sich geweigert haben, das Lied auf Deutsch für Deutschland zu singen: Erstens war sie überzeugt, die Siegeskrone aufgesetzt zu bekommen, und zweitens wäre es dann für die weitere Laufbahn nicht förderlich gewesen, aus dem Land zu kommen, das meist Schlager zum Mitklatschen hervorbringt.

Sie wurde zum Idol aller Gymnasiastinnen, denen Dinge wie Menstruation und Berufsausbildung viel zu profan waren. Vicky verkörperte Weltentrücktheit, die wohl auch sie empfanden: Liebe war nur ein Gefühl, das im Verzicht die allergrößte Herausforderung findet – so wie die Lieder der Leandros stets auf Unerfüllbarkeit hinausliefen. Doch all ihre glühende Blässe, ihre Zicken, ihre Allüren und ihre an eine Diva erinnernde, unnahbare Pose nützten nichts: Weder reüssierte ihr Album „Across the water“ in den USA, noch schaffte sie es, sich dem Schunkelmarkt zu widersetzen. Größenwahn? Mangelndes Können? Oder nur Pech?

Sie sang „Theo, wir fahr'n nach Lodz“, ein Lied, das sie nach eigenem Bekunden am liebsten nie gesungen hätte, zu marschig kam es ihr vor. Es geriet ihr schließlich zur Kapitulation vor den Whites ihrer Branche und zu ihrem größten Gelderfolg. Der Rest ist rasch erzählt: Vicky Leandros sang noch einige Liedchen, immer hübsch, immer gepflegt, nie ganz dem Geschmack der Omas und Tanten angebiedert. Ihr Stern sank, sie hatte wohl auch keine Lust mehr. Hatte Liebschaften, heiratete schließlich in den schleswig-holsteinischen Adel hinein – entsprechende Sitten erlernte sie einst als Schülerin des Hamburger Elise-Averdieck-Gymnasiums – und nennt sich seit 1981 Vicky Freifrau von Ruffin.

Doch Landleben und drei Kinder scheinen sie nicht auszufüllen: Seit drei Jahren singt sie nicht nur Evergreens („Halt die Welt an“), sondern auch neues Material. Ironie der Geschichte: Ihr Produzent ist nun Jack White. Bei jeder anderen klängen die Stücke wie „Lieben und Leben“ (Vicky Leandros ging schon immer auf Nummer Sicher) schauderhaft. Heute wird zu prüfen sein, ob sie uns wieder nur zur Kenntnis nimmt oder, animiert durch White, so tut, als liebte sie Bierzelte. Was wäre das doch schade. CCH, 20 Uhr