: Kopf, Hand und Fuß
■ In der Lokstedter „Plakatwerkstatt“ können Mädchen die alte Kunst des Buchbindens erlernen Von Uwe Scholz
Der Raum hat die Atmosphäre eines Druckermuseums: Schwere, gußeiserne Pressen, Schneidemaschinen, Farbwannen stehen herum, es riecht nach Druckerschwärze und Leim. Dazu mischen sich Kinderstimmen. Ab und zu klappert die Blechbüchse, die auf einem großen runden Tisch steht: Ein Mädchen hat seinen Beitrag bezahlt, vier Mark kostet ein Nachmittag.
Für diese Summe können die insgesamt zehn Mädchen, die heute in der „Plakatwerkstatt“ sind, Bücher binden, buntes Kleisterpapier herstellen, Schachteln und Kisten nach den alten handwerklichen Regeln des Buchbindens herstellen. Wunderbar gediegene Handarbeiten kommen da heraus, die nichts gemein haben mit der industriellen Billigware der Kaufhäuser.
Außer Buchbinden können die Mädchen in der Werkstatt auch drucken oder am Computer arbeiten. Gerda Fellberg, Leiterin und resolutes Zentrum der Werkstatt, erklärt die Anforderungen, die hinter diesen Arbeiten stecken: Die Mädchen müssen den Arbeitsprozeß planen, mit verschiedenen Maschinen umgehen, an einem Stück arbeiten, bis es fertig ist. „Dieser ganzheitliche Ansatz ist wohltuend für alle Beteiligten“, sagt Gerda Fellberg; „entwerfen, messen, schneiden, leimen, prüfen, beurteilen, Zusammenhänge verstehen und anderen zeigen, wie es geht. Das braucht Kopf, Hand und Fuß“, faßt sie das Konzept der Werkstatt zusammen.
Das Gebäude, in dem die Plakatwerkstatt ihr Heim gefunden hat, versteckt sich auf einem weiten Gelände im Veilchenstieg 29 in Lokstedt, inmitten von Kleingärten und viel Grün – alte Kastanien überdachen das Haus. Finanziert wird der „Veili“, wie die Mädchen das Haus nennen, aus dem Landesjugendplan. Es ist ein Projekt der „Jugendsozialarbeit Apostelkirche e.V.“. Mit zweieinhalb Arbeitsstellen ist das Jugendprojekt, das ausschließlich für Mädchen gedacht ist, ausgestattet; dazu kommen Honorargelder. Nicht gerade üppig. „Wenn wie heute zehn Mädchen da sind und drei Betreuerinnen, das ist ganz schön stressig“, meint Gerda Fellberg. Die Werkstatt muß einen Eigenanteil von 12.000 Mark zahlen; „das sind zwar weniger als zehn Prozent des Gesamtetats, aber für uns reichlich viel“, sagt die Leiterin. „Ohne Sponsoren geht es nicht.“
Clarissa, die heute zum ersten Mal da ist, macht Kleisterpapier. Die Farbe trägt sie auf einen großformatigen Papierbogen auf. Sie malt dickflüssiges Gold auf tiefes Blau. „Ist nicht so schwer. Es macht Spaß“, meint die Zwölfjährige, ganz in ihre Arbeit versunken.
Julia und Augusta binden heute ihr erstes Buch. Auf dem Buchbindetisch liegen dicke Pappen als Arbeitsunterlagen, lange Stahlscheren, messergroße Falzbeine und Zeitungen. „Achtung, Hände in die Taschen und ganz doll zugucken!“ Gerda Fellberg verlangt Aufmerksamkeit. Sie macht Julia und Augusta die Arbeitsschritte vor. Sie sollen die Papiere, mit denen der Buchrücken bezogen wird, auf die richtigen Maße zuschneiden. „Wieviele Zentimeter waren das noch mal?“, fragt Gerda Fellberg, „21,3“, kommt leicht zögernd von Julia die Antwort. „Stimmt“, lobt Gerda Fellberg, „jetzt kannst du es zuschneiden.“
So einfach sind die Arbeitstechniken bei den PC-Kursen, die die Werkstatt anbietet, nicht. „Erst die älteren Mädchen erkennen den Gebrauchswert beim Computer, zum Beispiel, wenn sie ein längeres Referat für die Schule schreiben müssen“, erklärt Kattrin Hennicke. Sie ist als Lehramtsstudentin Honorarkraft in der Werkstatt und hat sich auf Computerkurse für die Mädchen spezialisiert. „Wir wollen uns bald mit dem Modem an ein Computernetz anbinden“, beschreibt sie die nächsten Pläne der Werkstatt. Textverarbeitung sieht die fünfzehnjährige Helen „eher pragmatisch“, aber beim Thema ,Computernetz' taucht sofort Interesse bei ihr auf: „Wann hat man sonst schon die Gelegenheit, mit'm Typen aus Israel zu quatschen?“
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