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Wenn sich Polizisten zu sehr fürchten

■ Eine ganz normale Verkehrskontrolle oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel Von Julia Kossmann

Wie in Hamburg eine Verkehrskontrolle vor sich gehen kann: Der Taxifahrer Majid S.-B. fährt am 24. Januar nachts um viertel vor zwölf nach der letzten Tour heim in die Straßburger Straße in Wandsbek. Nahe seiner Haustür parkt er. Ein Auto hält unweit, zwei etwa 30jährige Männer steigen aus und folgen ihm. Rasch will er ins Haus, da hätten ihm die beiden hinterhergerufen: „Bleib stehen!“ Sie hätten beinahe betrunken gewirkt.

Herr S.-B. sieht nicht aus wie ein Bär. Er ist 59 Jahre alt, schwerbehindert, vielleicht 1,70 Meter groß. Er habe sich gefürchtet und schnell versucht, die Tür aufzuschließen und in Sicherheit zu gelangen, als ihn einer an der Schulter gepackt und herumgerissen hätte. Es sei zu einem Gerangel gekommen, in dessen Verlauf sich die beiden Männer als Zivilpolizisten zu erkennen geben wollten. Da habe er versucht, sich zu beruhigen, die Männer um ihre Ausweise und darum gebeten, in den Hausflur zu treten, dort gebe es Licht, er wolle seine Lesebrille aufsetzen. Außerdem sei es minus 11 Grad kalt, und er habe Migräne.

Tatsächlich stimmt der Polizeibericht laut Pressesprecher Hartmut Kapp in diesem Punkt erstmals mit der Schilderung des Herrn S.-B. insofern überein, als die Beamten zu Protokoll gegeben hatten, der randalierende Mann habe auf seine Krankheit und darauf hingewiesen, daß er Medikamente einnehmen müsse.

Warum sich zwei junge durchtrainierte Polizisten in Zivil vor einem alten Herrn aus dem Iran so sehr fürchteten, daß sie uniformierte Verstärkung in zwei Peterwagen herbeiriefen, diese Frage stellt man sich im Amt nicht. Da liegt der Fall klar. Herr S.-B. habe nämlich eine rote Ampel und dann die rote Kelle der beiden Ordnungshüter mißachtet. Der Mann habe sich renitent gezeigt, deswegen sei Verstärkung gerufen worden. Sobald diese eingetroffen war, versuchte sich das zivile Paar aus „deeskalierenden“ Motiven, so Kapp, zu entfernen, damit sich die Verhältnisse Herrn S.-B. eindeutig darstellten. Dann aber habe sich jener auf die hinwegeilenden Männer gestürzt. Da hätten ihm von den uniformierten Kollegen in üblicher dienstlicher Manier Handschellen angelegt werden müssen.

Er sei von den Uniformierten zu Boden geworfen, die Hände seien ihm auf den Rücken gedreht worden, sagt Herr S.-B. dazu, der nicht vermeintlichen Strauchdieben, sondern dem Gesetz in die Hände gefallen war. Eine Polizistin habe noch mäßigend auf ihre männlichen Kollegen einzureden versucht. Er erlitt, so die Diagnose eines Arztes im AK Eilbek noch in derselben Nacht um 1.10 Uhr, „Hautabschürfungen und multiple Prellungen“. Herr S.-B. war nach den Vorfällen vor seiner Haustür auf die Polizeiwache Schepplerstraße in Wandsbek gebracht worden. Ihm wurde eröffnet, daß nun auch Anzeige gegen ihn erhoben würde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Herrn S.-B.s Versuch, seinerseits eine Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten, scheiterte. Statt dessen setzten die Polizisten den blutenden und verstörten Mann mitten in der Frostnacht auf die Straße. Daß er sie gebeten hatte, ihm ein Taxi zu rufen, überhörten sie – geflissentlich?

Mittlerweile beschäftigt sich die polizeiliche Dienststelle für interne Ermittlungen (DIE) mit der Verhältnismäßigkeit der Verkehrskontrolle vom 24. Januar. Herr S.-B. hatte sich Tage später ein Herz und einen Anwalt genommen und direkt bei der Dienststelle für interne Ermittlungen (DIE) in der Altstädter Straße Anzeige erstattet. „Das ist ein Fall, der sehr genau untersucht werden muß“, sagt sein Rechtsanwalt Manfred Getzmann.

Das übliche juristische Prozedere ist in Gang gesetzt. Herrn S.-B.s Aussagen stehen gegen die mehrerer polizeilicher Zeugen.

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