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Von Farmern und Gästen

„Ferien auf dem Bauernhof“ bieten immer mehr weiße Landwirte in Namibia an. Die Besucher sind deutscher Herkunft – wie zumeist auch ihre Gastgeber  ■ Von Henk Raijer und Gunda Schwantje

Zuwenig Regen, wie schon in den Jahren zuvor. „Farmen ist ein Glücksspiel in Südwest“, sagt Annelie Grasop (75) achzelzuckend. Das Wort Namibia geht ihr, wie den meisten „Deutschen“ im seit 1990 unabhängigen Wüstenstaat in Südwestafrika, nur sehr schwer über die Lippen. Auf „Sinclair“, einem 12.500 Hektar großen Gut etwa 50 Kilometer nordwestlich von Helmeringhausen, gibt es anscheinend keinen nennenswerten Wassermangel, denn im Kontrast zu den schroffen Bergen und der kargen Halbwüste wirkt das hübsche Farmhaus inmitten von Zypressen und Jacaranda-Blüten wie eine Oase. Eine trügerische Idylle. Sollte es wieder nicht richtig regnen, müßte die Familie ihren Viehbestand noch weiter reduzieren. Schon heute reicht das für europäische Verhältnisse große Areal nicht mehr aus, die verbliebenen 500 Schafe und zehn Rinder zu versorgen.

Am Rande der Namib-Wüste gibt es keinen einzigen Farmer mehr, der ausschließlich von der Landwirtschaft lebt. So mancher Schafzüchter hat resigniert, einen Job in Maltahöhe oder gar in Windhoek angenommen und die Instandhaltung der Farm seinem „Jungen“, einem der älteren schwarzen Arbeiter, überlassen. Auch Frau Grasops Tochter Hannelore und ihr Mann Günther Hoffmann, Besitzer der Farm „Sinclair“, haben umgesattelt: Die große Dürreperiode von 1979 bis 1984 bestärkte sie in ihrem Entschluß, den Betrieb fortan als Gästefarm weiterzuführen.

Stille, weitläufige Einsamkeit, Wärme und wilde Tiere, hervorragendes Essen und eine ansprechende, wenn auch einfache Unterbringung: „Sinclair“ ist ein Rundum-sorglos-Paket mit Familienanschluß. Seit jeher wird hier Brot gebacken, die Milch immer frisch serviert, Käse und Butter daraus hergestellt, im Garten wachsen Maulbeeren, Feigen, Tomaten, Kartoffeln, Mandarinen und Zitronen. Schafe, Rinder, jede Menge Federvieh, Kudus und Springböcke liefern das Fleisch, ein Dieselgenerator sowie ein Windrad sorgen für den Strom.

Vor elf Jahren waren die Hoffmanns Pioniere, 1995 boten bereits an die 50 Farmen in Namibia „Ferien auf dem Bauernhof“ an. Die Gäste, die Land und Leute auf diese Art kennenlernen wollen, sind fast durchweg deutscher Herkunft – wie zumeist auch ihre Gastgeber. Annelie Grasop und ihr Mann haben die Farm schon vor elf Jahren den Kindern übergeben. Nur wenn die, wie heute, einen Ausflug „in die Stadt“, ins 1.300 Kilometer entfernte Kapstadt machen, übernimmt das Rentnerehepaar die Betreuung der Besucher. Zwei Busunternehmen haben sich angesagt, die hier einen Stopp einlegen auf ihrem Weg in die berühmten Namib-Dünen von Sossusvlei. „Zum Glück hab' ich meine Nama-Mädchen für die Zimmer und die Küche“, sagt Annelie Grasop. Um die Tiere kümmere sich ihr Mann (82), der an diesem Tag auf der ebenfalls familieneigenen Nachbarfarm „Cottbus“ mit den „Jungs“ Zäune flickt.

Gelernte Farmer waren sie nicht, die Eltern von Annelie Grasop. Vater Darge, ein gebürtiger Cottbusser, war 1911 für die Schutztruppe herausgekommen, die Mutter knapp vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges und dem Ende deutscher Kolonialherrlichkeit in „Südwest“ (1915) vom Hamburger Haushaltswarengeschäft Krabbenhöft und Lampe in die Filiale nach Lüderitzbucht geschickt worden. „Meine Kindheit habe ich im Diamantensperrgebiet, in den Städtchen Pomona und Kolmanskop verbracht“, erzählt sie, „der Vater hat dort als Stellmacher bei der Lorenbahn gearbeitet.“ Als 1929 aufgrund des Börsenkrachs an der Wall Street die Diamantenpreise fielen und die Minen in der Umgebung von Lüderitz zu Beginn der dreißiger Jahre nicht mehr in die Produktion miteinbezogen wurden, hatte die Familie das Geld für eine eigene Farm schon zusammengespart und zog ins Landesinnere. „1931 gab's hier nur die Wasserstelle aus der Zeit der Kupfermine Sinclair“, sagt Frau Grasop, „zehn Jahre haben wir gebraucht, um das alles aufzubauen.“ Auf Wunsch des Vaters, der immer sehr national empfunden habe, sei sie 1936 nach Deutschland gegangen, um Schneiderin zu lernen. Anderthalb Jahre lebte sie bei Verwandten in Frankfurt (Oder). Für die junge Annelie Darge aus dem fernen Afrika insgesamt eine eher zwiespältige Erfahrung: „Wir hatten zwar die gleiche Muttersprache“, erklärt sie in einem für eine geborene Südwesterin sehr gewählten Deutsch, „aber ich blieb immer die Exotin, konnte mich nur schwer an die Enge, an die schlechte Luft und die militärischen Umgangs- und Erziehungsformen jener Zeit gewöhnen.“ Ohne eine Träne habe sie der „Heimat“ nur wenige Monate vor Beginn des Polenfeldzuges den Rücken gekehrt.

Doch der Weltkrieg warf seine Schatten bis nach „Sinclair“. Alle deutschen Männer in der ehemals kaiserlichen Kolonie wurden auf Geheiß der südafrikanischen Mandatsbehörden entweder in Lagern eingesperrt oder farminterniert. Gewehre und Radiogeräte wurden konfisziert, der Farmbetrieb ausschließlich von den Frauen gemanagt. Annelie Darge, inzwischen verheiratete Grasop, und ihre tatkräftige Mutter legten in den 40er Jahren „mit nur einem Eingeborenen“ die Grundlagen für eine erfolgreiche Schafzucht. An die 2.000 Karakulschafe, deren zwei Tage alte Lämmchen das Fell für die in nördlichen Breiten so beliebten Persianer abgeben, zählte „Sinclair“ in den sechziger Jahren.

Es waren die Dürreperioden, in deren Folge viele Tiere verendeten oder auch verkauft werden mußten, die der Farmersfamilie die Grenzen ihrer Bemühungen vor Augen führten. Annelie Grasop freut sich daher über den Elan ihrer Kinder. Durch die Gästefarm hätten sie ihren Besitz behalten und den gewohnten Lebensstil fortführen können. Am Gartentisch unter dem Kameldornbaum strahlt die Großmutter jene Ruhe aus, die auch ihrer natürlichen Umgebung eigen ist. Nur wenn das Farmtelefon das vertraute Klingelzeichen macht – dreimal lang, zweimal kurz –, eilt sie ins Haus. „Neue Feriengäste – aus Deutschland“, verkündet sie bei ihrer Rückkkehr, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres in diesem abgelegenen Winkel der Welt.

„Sinclair“ ist fast schon eine Institution in diesem Gewerbe. Die meisten Buchungen laufen über Veranstalter in Deutschland. Der Aufenthalt auf einer Gästefarm ist neben dem Besuch der bedeutendsten Attraktionen Namibias – der Etoscha-Pfanne, der Namib-Dünen, des Skelettküstenparks – inzwischen fester Bestandteil einer mehrwöchigen Reise. Während die Südafrikaner, noch vor wenigen Jahren unter sich in „Südwest“, Billigurlaub vor der Haustür machen, interessieren sich die Deutschen, mit 15 Prozent die größte Gruppe aus Übersee, für Afrika – für wilde Tiere, einheimische Bräuche, Relikte deutscher Vergangenheit und für das Leben auf dem Land. Und sie bringen Geld mit.

Umgerechnet über 100 Mark pro Kopf und Tag ließen die über 20.000 deutschen Touristen 1994 im Lande, die Südafrikaner dagegen nur etwa 40. „Die Besucher aus Übersee sind ein Faktor“, sagt Erik Holm-Petersen. Seit 1991 versucht der dänische Ökonom, der im Auftrag der Europäischen Union das Ministerium für Umwelt und Tourismus in Windhoek berät, das Land auf die neuen Eroberer einzustimmen. Dabei will er aber den Schaden an seiner einzigartigen Ressource, der Natur, minimieren. „Was außer ein paar Mineralien hat denn dieses Land zu bieten“, fragt er rhetorisch. „Namibia gilt als Juwel des Kontinents, und Afrika ist ,in‘ zur Zeit.“

Das bekommen auch Meike und Klaus Würriehausen zu spüren. Seit April 1993 haben deutsche Reiseveranstalter ihre Farm „Ababis“ nahe Solitaire im Programm, und seither verging kein Tag, an dem die beiden Wahlnamibier nicht das Haus voller Gäste hatten – fast ausnahmslos aus Deutschland. Insgesamt fünf geschmackvoll eingerichtete Fremdenzimmer haben sie in ihrem großzügigen Wohnhaus im klassischen Kolonialstil für ihre Gäste reserviert. Umgerechnet rund 80 Mark kostet die Übernachtung mit Vollpension pro Person. Einige genießen einfach nur die ländliche Abgeschiedenheit des 32.000 Hektar großen Farmbesitzes mit seinen Rindern, Schafen, Kudus, Oryx-Antilopen, Straußen und Geiern. Für andere ist „Ababis“ der ideale Ausgangspunkt für die nahen Attraktionen, die Namib- Dünen und die Naukluft-Berge.

„Ababis“ ist eine der ältesten Farmen im Süden, doch anders als die Familie von Annelie Grasop sind die beiden Mittdreißiger Neulinge im Land – wie auch im Gewerbe. Vor acht Jahren erfüllte sich der studierte Landwirt Klaus Würriehausen seinen Traum von der eigenen Farm in Afrika. 1990 wollte die in Deutschland frisch verbeamtete Lehrerin Meike „nur mal einen Bekannten in Afrika besuchen“. Daraus wurden die heute vierjährige Jana und eine Beurlaubung bis zum Jahre 2000.

Ende 1992 drohte die Dürre die Arbeit mehrerer Jahre zunichte zu machen. „Im Januar 1993 standen wir vor der Pleite, wir konnten unsere Tiere nicht mehr durchbringen, unsere Leute nicht mehr bezahlen“, erzählt Meike. Unter Zugzwang geraten, entweder aufzugeben oder etwas anderes auszuprobieren, reifte in ihnen der Entschluß, es mit „Agrartourismus“ zu versuchen. „Ich mag die Aufgabe, die meisten Gäste genießen den Aufenthalt hier draußen – wie wir selbst“, schwärmt sie. Nicht nur das Management der Gästefarm, auch die Kommunikation mit ständig neuen Besuchern machen der jungen Akademikerin sichtlich Spaß. Nur eins nervt sie: „Wenn Gäste, kaum hat man ihnen die spektakulären Namib-Dünen gezeigt, beim gemeinsamen Abendessen auf unserer Veranda ohne Ende mit ihren Fernreisen prahlen und das Fehlen eines Pools beklagen.“

Die harte Arbeit, die Angst vor neuen Dürreperioden, manchmal auch die Einsamkeit – alles Probleme, die die beiden „Deutschländer“ mit den Alteingesessenen gemeinsam haben. Eins jedoch unterscheidet die jungen Leute von ihren robusten Nachbarn: ihnen fehlt jede „Selbstverständlichkeit“ im Umgang mit ihren schwarzen Angestellten. Autoritäres Auftreten liegt ihnen nicht. „Nur sehr schwer konnte ich mich in die Rolle der ,Missis‘ hineinfinden“, erinnert sich Meike, „und von Sana und Magdalena, unseren Nama- Mädchen, zu verlangen, mich beim Vornamen zu nennen, war geradezu naiv.“ Heute seien sie beide gelassener, hätten das scheinbar Unveränderliche des schwarz-weißen Musters akzeptiert. „Unsere Gäste? Ach, die sollen ruhig mitbekommen, daß hier nicht nur das faszinierende Namibia ist, sondern auch Afrika.“

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