piwik no script img

Endlich Bericht über das Atom-Kuddelmuddel

Seit fast 28 Jahren läuft das Kraftwerk Obrigheim im Probebetrieb. Vor der Landtagswahl will die Stuttgarter Koalition aus CDU und SPD die anrüchige Geschichte des Uraltmeilers geräuschlos endlagern  ■ Von Gerd Rosenkranz

Erwin Vetter, bis 1992 CDU- Umweltminister in Baden-Württemberg, hat an Joseph A. Günther nur positive Erinnerungen. Als der für das Atomkraftwerk Obrigheim (KWO) zuständige Referatsleiter 1990 vorzeitig in den Ruhestand ging, „haben wir ein Glas Sekt zusammengetrunken, und dann sind wir auseinandergegangen“.

Ganz so idyllisch kann die Abschiedsszene nicht gewesen sein, die der CDU-Politiker Ende 1994 vor dem Landtagsuntersuchungsausschuß zur Aufklärung der verworrenen Genehmigungsgeschichte des ältesten kommerziellen Atommeilers im Lande zum besten gab. Denn Günther, gleichfalls Mitglied der CDU, war nicht regulär ausgeschieden, sondern hatte jahrelang vergeblich versucht, in der Stuttgarter Atomaufsichtsbehörde eine härtere Gangart gegenüber den Betreibern des Altmeilers durchzusetzen. Dann bat er entnervt um Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand. Die in Obrigheim „aufgedeckten Fehler und Mängel hätten unter bestimmten Voraussetzungen schwere Störfälle auslösen oder die Beherrschung solcher Störfälle in Frage stellen können“, so Günther.

Minister Vetter reagierte auf Günthers dramatische Vorwürfe auf seine Weise: Er drohte dem Referatsleiter offen mit einem Dienstaufsichtsverfahren, ehe er ihn schließlich gehen ließ. Das bislang spektakulärste Resultat des nicht nur von Günther beklagten Schlendrians in der Stuttgarter Atomaufsicht führte im Frühjahr 1990 zu einer gut einjährigen Zwangspause für den Altmeiler. Ende der achtziger Jahre war durchgesickert, daß das Kraftwerk seit über zwei Dekaden ohne Dauerbetriebsgenehmigung am Netz war. Anwohner klagten daraufhin erfolgreich vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim auf Einstellung des Betriebs. 1991 knipste das Bundesverwaltungsgericht das KWO jedoch wieder an. Der Probebetrieb sei rechtens und zeitlich nicht begrenzt, entschieden die Berliner Richter, müsse aber irgendwann mit einer entsprechenden Genehmigung in den Dauerbetrieb überführt werden.

Dieser Forderung kam im Herbst 1992 ausgerechnet der gerade gekürte SPD-Umweltminister und bekennende Atomkraftgegner Harald B. Schäfer nach. Im März letzten Jahres kompromittierte der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim den Sozialdemokraten mit der Aufhebung der Genehmigung ein zweites Mal. Schäfer, argumentierten die Richter, hätte den Betrieb nicht zulassen dürfen, bevor die von ihm mit der Dauergenehmigung verknüpften Sicherheitsüberprüfungen abgeschlossen waren. Seither läuft die Anlage – inzwischen fast 28 Jahre nach ihrem Start – wieder im Probebetrieb.

Wie es zu dem beispiellosen Genehmigungskuddelmuddel kommen konnte, erhellt jetzt eine 370 Seiten starke Fleißarbeit der bündnisgrünen Stuttgarter Landtagsfraktion. Der Bericht resümiert 40 Zeugenaussagen, 3.000 Protokollseiten und 800 Aktenordner, die der KWO-Untersuchungsausschuß in fast 24 Monaten zusammentrug.

Bei der abschließenden Beratung der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses am Donnerstag wollen CDU und SPD einen Schlußstrich unter die Obrigheim- Debatte ziehen. Gemeinsames Fazit der Koalitionäre gut sechs Wochen vor der Landtagswahl: Obrigheim ist sicher, Schäfers Atomabteilung ein Hort der Seriosität. Der bündnisgrüne Ausschußbericht belegt detailreich das Gegenteil.

Schon Ende der sechziger Jahre, der Reaktor war 1968 erstmals „kritisch“ geworden, hatten Fachbeamte des seinerzeit für die Atomaufsicht zuständigen Sozialministeriums die abschließende Betriebsgenehmigung zurückgehalten, weil die Kraftwerker nach ihrer Überzeugung „wesentliche Nachweise zur Sicherheit der Anlage“ schuldig geblieben waren – so ein interner Vermerk. Doch nichts geschah. Die Betreiber, zu denen neben den Stromunternehmen Badenwerk, Technische Werke Stuttgart und Energieversorgung Schwaben damals auch der Reaktorbauer Siemens gehörte, ignorierten die Nachforderungen der Atomaufsicht.

Doch auf eine Kraftprobe mit den Atomstromern wollten es die Beamten mehrheitlich nicht ankommen lassen. Am Ende gab man sich mit dem sicherheitstechnisch und rechtlich windigen Status quo ab. Als das Bundesverwaltungsgericht schließlich 1991 dem mittlerweile zuständigen Umweltministerium die Erteilung einer abschließenden Betriebsgenehmigung auftrug, eskalierte der Krieg in der Stuttgarter Atomabteilung. Ermutigt durch den 1992 erfolgten Wechsel von CDU zur SPD an der Ministeriumsspitze, machte der zuständige Beamte, Walter Friedrich, in einem ausführlichen Vermerk für Umweltminister Schäfer eine ganze Latte von schweren Sicherheitsbedenken geltend, ohne deren vorherige Klärung eine Dauerbetriebsgenehmigung weiterhin nicht erteilt werden könne. Außerdem seien zentrale Komponenten des Meilers – unter anderem der Reaktordruckbehälter und das Gerüst, das den Reaktorkern umschließt – anders errichtet worden, als sie zuvor genehmigt worden waren, argumentierte Friedrich.

Doch der auch außerhalb des Umweltministeriums anerkannte Experte fand bei Schäfer kein Gehör. Der SPD-Minister erteilte die Dauergenehmigung gegen den Protest des Referenten. Friedrich unterschrieb den Persilschein erst unter erheblichem Druck der Ministeriumsspitze und ausdrücklich nur für seinen Zuständigkeitsbereich. Anschließend trieb die stramm betreiberfreundliche Mehrheit der Atomabteilung Friedrich ins Abseits, wie Jahre zuvor den anfangs erwähnten Referatsleiter Joseph Günther. Die Zuständigkeit für Obrigheim wurde ihm entzogen.

Dabei war Schäfer durchaus klar, daß das von seinen CDU- Vorgängern geerbte Atomressort systematisch gegen die neue atomkritische Linie der Spitze des Hauses arbeitete. Als Ende 1994 der Chef der Abteilung in Ruhestand ging, unternahm Schäfer erstmals seit seinem Amtsantritt den Versuch, einen ihm wohlgesonnenen Beamten und Genossen auf dem verwaisten Sessel zu plazieren. Doch da war Erwin Teufel vor. Der CDU-Ministerpräsident legte – die Koalitionsvereinbarung von 1992 ermächtigt ihn dazu – sein Veto gegen die Berufung ein. Statt dessen wollte Teufel den leitenden Ministerialrat Dietmar Keil auf diesem Platz sehen, ein Beamter, der als heimlicher Abteilungsleiter jahrelang die Pro-Obrigheim- Riege gegen die kritischen Beamten Günther und Friedrich angeführt hatte.

Wenig später stellte sich heraus, daß Teufel von außen angeschoben worden war. Kurz vor der Ernennung des von Schäfer favorisierten Beamten hatte der Vorstandschef der Energieversorgung Schwaben und KWO-Betreiber Wilfried Steuer vorsorglich gegen die Personalentscheidung protestiert – mit einem Anruf in der Stuttgarter Staatskanzlei. Der Vorgang spiegelt offenbar gängige Praxis wider. Dafür jedenfalls spricht eine kleine Notiz aus der – dem Untersuchungsausschuß erst auf mehrfaches Drängen vorgelegten – Personalakte des später im Zorn geschiedenen Joseph Günther. Die AKW-Betreiber, schrieb der Beamte 1985 an den damals zuständigen Minister Gerhard Weiser (CDU), rühmten sich „von Zeit zu Zeit“ ihrer „ausgezeichneten Beziehungen“ zur Spitze der Landesregierung. Derzeit hofften sie auf einen „möglichst betreiberfreundlichen Beamten“ als Chef der Atomaufsicht.

Im vergangenen Herbst erteilte Umweltminister Schäfer nach einer Revision des neutronenversprödeten Reaktordruckbehälters sein Jawort für den Weiterbetrieb. Die Betreiber jubelten und wollen den Altmeiler bis 2010 am Netz halten. Doch darüber entscheiden nicht sie, sondern die Gerichte. Der bündnisgrüne Fraktionschef Fritz Kuhn zieht derweil übers Land mit der Parole: „Wir wollen die Koalition mit der SPD.“ Und fügt dann hinzu: „Aber nicht wegen, sondern allerhöchstens trotz Schäfer.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen