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Im Schatten Englands

Noch nie hat der Nationaltrainer von Wales ein Match der walisischen Liga gesehen: Topklubs und Topspieler kicken in der englischen Liga  ■ Aus Porthmadog Hardy Grüne

„Nenn es bloß nicht Stadion“, warnt mich mein Begleiter. „Call it ground, just ground!“ Als ich das Gelände betrete, weiß ich warum: Vor dem herrlichen Panorama der Snowdonia-Berge liegt eine nur halbherzig mit Barrieren abgegrenzte saftiggrüne Wiese; hinter der antiken 250-Sitzplätze-Tribüne wundern sich wiederkäuende Kühe. Alltag in der ersten walisischen Fußball-Liga.

115 Jahre nach Gründung des Fußballverbandes hat Wales mit der Aussicht auf lukrative Europapokalspiele endlich die jahrzehntelangen Streitigkeiten zwischen Nord- und Südklubs beigelegt und 1992 eine landesweite Spielklasse eingerichtet. Seitdem hat sich der einst beschaulich-dörfliche Charakter im Fußball-Wales gewaltig verändert. „Barry Town ist inzwischen auf Profibedingungen umgestiegen, und wir hoffen, daß andere Klubs nachziehen werden“, erklärt Mel ap Ior vom Wales Soccer File, dem Pressedienst der Liga. „Sicherlich wird in den nächsten 20 Jahren kein Klub einen Europapokal gewinnen, doch wenn wir die Spielklasse stabilisieren können, werden wir auch in Europa stärker werden.“ Noch ist die Bilanz eher düster, denn trotz nicht gerade übermächtiger Gegner wie IA Akranes oder RAF Riga scheiden die Waliser regelmäßig in der Qualifikation aus.

Der Unterschied zwischen Europapokal und Ligaalltag ist gewaltig. So ist beim Nachbarschaftsderby zwischen Példroed Porthmadog und Bangor City nichts von Erstliga-Atmosphäre zu spüren. Auf unasphaltierten Wegen waren wir rumpelnd zum Spielort gefahren und hatten problemlos direkt vor dem Eingang parken können. Keine Absperrungen, keine Polizei, ganze zwei Kassenhäuschen. Porthmadog, ein im Winter ziemlich verschlafenes 4.000-Seelen- Nest, aus dem einst der Schiefer für den Kölner Dom geliefert wurde, liegt in einer Region, in der die walisische Sprache noch die Regel ist. „Croeso“ – Willkommen! – steht am Eingang zum Sportplatz, und Mel ap Ior pendelt ständig zwischen Walisisch und Englisch hin und her. Spieler und Publikum kennen sich, halten kurz zum Small-talk inne.

Bangor Citys Mannschaft wirkt wesentlich professioneller. Im Sommer haben die Mannen von der Nordküste des Landes noch im polnischen Lódz in der Europapokal-Qualifikation gespielt. Entsprechend attraktiv ist das mit zahlreichen Engländern aus dem Liverpool- und Everton-Umfeld bestückte Team des Meisters. Angesichts der prekären Finanzsituation Porthmadogs optimal. „Wenn 1.000 kämen, wäre das toll“, hofft Schatzmeister Roberts, der „jede Woche 300 Pfund Verlust“ verbuchen muß.

Doch als die beiden Teams das Spielfeld betreten, ist der Ground „Y Traeth“ („Der Strand“) nur dürftig gefüllt: 481 Zuschauer, knapp 1.200 Pfund Einnahme. Verdammt wenig. „Es liegt an den äußeren Umständen“, meint er. „Das unberechenbare walisische Wetter. Du guckst aus dem Fenster, siehst die Wolken und bleibst lieber zu Hause, zumal im Fernsehen die englische Premier League gezeigt wird.“ Spätestens in der zweiten Halbzeit beneide ich die Daheimgebliebenen: Starker Wind und kalter Regen machen die Angelegenheit zunehmend ungemütlich. Ein Tee hilft über die Kälte hinweg, das gute Spiel ebenfalls. Vor allem Porthmadog bietet eine hervorragende Leistung und gewinnt hochverdient mit 4:2. „Damit haben wir uns von den Abstiegsrängen abgesetzt“, frohlockt Trainer Colin Hawkins, um mit Sorgenfalten hinzuzufügen, daß „die finanzielle Situation weiterhin prekär“ ist.

Porthmadog ist nicht der einzige walisische Erstligist mit Geldproblemen. Lediglich Barry, Fflint, Bangor und Conwy können sich gute Kader leisten, weil dort Sponsoren vorhanden sind. Die League of Wales (LoW) bekommt kaum Medienunterstützung. Obwohl Wales den drittältesten Fußballverband der Welt hat, sind die Zeitungen voll von Rugby. Fußball kommt erst an zweiter Stelle, und dann wird überwiegend über die drei Profiklubs berichtet, die in England spielen (Swansea City, Cardiff City und Wrexham). Über die LoW erfährt man kaum mehr als die Ergebnisse und die Tabelle. Da ist es schwer, Sponsoren zu gewinnen. „Und natürlich stehen wir im Schatten der englischen Premier League“, erklärt Mel ap Ior. „Auch in Porthmadog laufen viele Jugendliche mit Manchester-United- oder Liverpool-Trikots rum und sind kaum für den lokalen Klub zu begeistern.“ Der Spielstandard ist in den Jahren seit der Ligagründung kontinuierlich gestiegen. Dazu kommen die wesentlich besseren Sportanlagen, fast überall gibt es inzwischen Tribünen und Flutlicht. Aber weil es in Wales nie eine erste Liga gab, haben die ambitionierten Mannschaften in der Vergangenheit in England gespielt. Einige sind inzwischen zurückgekehrt, andere aber wollen bleiben. Die UEFA hat bereits mit dem Europacup- Ausschluß gedroht, wenn bis 1997 nicht alle Waliser Klubs – mit Ausnahme der drei Profivereine – in Wales spielen. Doch Newport und Colwyn Bay wollen um jeden Preis weiter in England mitspielen. Das führt dazu, daß Newport seine Heimspiele im englischen Gloucester austragen muß und sich selbst „The Exiles“ nennt!

„Aber wir sind hoffnungsvoll“, meint Mel ap Ior mit vielsagendem Lächeln, ehe er in sein Auto steigt und rappelnd in Richtung Snowdonia-Berge verschwindet. Ein Ort, den der walisische Nationaltrainer Bobby Gould übrigens kaum zu Gesicht bekommt. „Ich habe noch kein Spiel der League of Wales gesehen“, gibt er zu, denn alle walisischen Nationalspieler sind in englischen Erst- und Zweitligaklubs aktiv. Es gibt noch viel zu tun im Land von Ryan Giggs und Ian Rush.

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