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WeiberWirtschaft lernt das Laufen

Nach über einjähriger Praxis tummeln sich im größten deutschen Gründerinnenzentrum „WeiberWirtschaft“ in Mitte inzwischen 25 Unternehmen. Noch immer ist allerdings die Kapitaldecke zu dünn.  ■ Von Silvia Ittensohn

Im Bezirk Mitte, drei U-Bahn- Stationen vom Alexanderplatz entfernt, schippen an der Anklamer Straße 38 zur Zeit noch Männer die Zementkarren. Sie tragen bei zum gewohnten Bild einer in diesem Stadtkreis typischen Mischung aus Mietskasernen, Häuserlücken und Baustellen. Und sie erinnern an das Baufieber, das im Zentrum herrscht.

Seit dem Einzug im Herbst 1994 tummeln sich über 25 Frauenunternehmen im „Gründungsrausch“ – so der Name der hier ansässigen Unternehmensberatung –, sorgen für den nötigen „Durchblick“ (Computerschule) oder legen auch mal eine „Querspur“ (Video- und Schnittzentrum). Daneben sorgen Versicherungsmaklerinnen, Übersetzerinnen, Umwelt-, Reiseberaterinnen oder Journalistinnen für ein vielfältiges Angebot an Dienstleistungen.

Nur mit den Produktionsbetrieben hapert es in der WeiberWirtschaft noch. Zur Zeit wirtschaften dort im Hinterhof – nebst Bioladen und Offsetdruckerei –, erst eine Keramikerin und eine Glasermeisterin. Chris Dietsche von Gründungsrausch bedauert, daß frauliche Produktion meist mit wenig Eigenkapital, Verdienst und ungenügendem Startkapital gekoppelt ist. Frauen verfügten selten über finanzielle Sicherheit wie „ein Eigenheim im Hintergrund“, seien häufig allein verantwortlich für ihre Kinder. Weib und Seele genügen demzufolge (noch) nicht, um den männlich dominierten Produktionsbereich auf Kosten des Dienstleistungs- und Kleingewerbebereichs zu erobern.

Pressesprecherin Monika Damm meint selbstbewußt, daß „bereits 51 Prozent der Gesamtfläche mit Unternehmen belegt sind“. Sorgen bereitet ihr hingegen, daß die Mieteinnahmen die Bankfinanzierung noch nicht übersteigen. Das Projekt wird zwar durch ein Förderprogramm zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ unterstützt, unter anderem durch Zuschüsse aus dem Stadterneuerungsprogramm und durch EU-Gelder. Aber nach einer Eigenkapitaldecke von einer Million Mark streckt sich frau immer noch, ein knappes Drittel fehlt ihr trotz weltweiter Solidarität: Frauengruppen und -kommissionen fragen zwar interessiert an, Delegationen (jüngst aus Moskau, Usbekistan, Korea) klopfen an die Türe der Anklamer Straße, doch Genossenschafterinnen zahlen häufig bloß den Mindestbeitrag von 200 Mark. Ein Frauenherz schlägt offenbar mehr für die Idee als den Profit. Monika Damm ist überzeugt, daß „Männer weniger zögerlich, dafür erfolgsorientierter“ handeln würden. Soll frau deshalb Männern den Hof machen, wenn verbesserte Mietauslastung und höhere Beiträge gewünscht werden?

„Es soll immer noch Männer geben, die bei einer guten Anlage nur an HiFi denken“, kokettiert WeiberWirtschaft in einer Werbung. Sind männliche Spender und Anleger (Anteile ab 5.000 Mark) zwar erwünscht, so legt die Genossenschaft doch klar fest, daß weibliche Führungskraft, weibliches Eigentum an Grund und Boden und Kapital nicht aus der Frauenhand gegeben werden. Nach Ablauf des zehnjährigen Mietvertrags wird abgeklärt, ob die Unternehmer und Auszubildenden (noch) alle weiblich sind, ob das Kapital in Frauenhand verblieben und der Anteil der männlichen Angestellten unter 50 Prozent geblieben ist. Erst wenn diese Auflagen erfüllt sind, kann der Mietvertrag um weitere fünf Jahre verlängert werden.

„Es ist toll mit den vielen Frauen. Viel im Betrieb kann erledigt werden, weil viele Frauen gerade doppelt und dreifach belastbar sind“, schwärmt Gerda Plate von den Versicherungsmaklerinnen Fair Ladies, die vor kurzem in den vorderen Hausteil des 2. Stockwerks gewechselt haben. Als Pionierinnen sind Inge Schassberger und Gerda Plate vor zwei Jahren im hinteren Trakt eingezogen. Sie konnten damals nicht nur ihren „Ost-Traum“ verwirklichen, sondern mußten auch den Alptraum von Lärm und Nachbesserungen durch „schludriges Bauen“ in der Zwischennutzungsphase erleben. Jetzt überwiegt der Standortvorteil: Die meisten hier ansässigen Unternehmerinnen lassen sich bei ihnen versichern und empfehlen sie weiter. So können sie es sich leisten, „niemanden über den Tisch zu ziehen und nur das anzubieten, was Kundin (70-Prozent-Anteil) oder Kunde wirklich braucht“.

Lampengirlanden mit leuchtenden Sonnen und Monden erleuchten das Café Ada. Stolz wird auf der Karte mit vegetarischen Menüs auf Lady Ada Byron, die Tochter Lord Byrons, hingewiesen, die das erste theoretische Programm für einen Computer erdacht haben soll.

Durchblick verspricht Vera Kätsch von der gleichnamigen Computerschule, wenn sie von einem ganzheitlichen Umgang mit der Technik spricht. Würden Männer sich in der Regel „nicht um Datenmüll kümmern“, sollten Frauen hier nach den Konsequenzen der Technik fragen und dauerhafte Lernprozesse erfahren. Weitsicht verrät auch die Sanierung des Gebäudekomplexes: Wärmerückgewinnung, thermische Solaranlage, Regenwassernutzung, Fassaden- und Dachbegrünung sind nur einige Stichworte dazu. Für nachhaltiges Wirtschaften in den Betrieben selbst sorgen ein Abfallkonzept und Beratung in umweltverantwortlichem Handeln. Dorothea Gerke von der Ökoberatung berät hier zum Beispiel die Rechtsanwältinnen beim Kauf eines Fotokopierers.

Was Wunder, daß bei soviel „Ansätzen für einen anderen Umgang von Frauen mit Geld“ an der FU für das kommende Sommersemester eine Lehrveranstaltung angekündigt worden ist. Unter dem Titel „Spaß haben, Geld verdienen, Gutes tun?!“ wird WeiberWirtschafts-Vorständlerin Dr. Claudia Neusüss nicht nur „über den unwiderstehlichen Charme des Geldes“, sondern auch über „konkrete Führungsstrategien für Frauen“ referieren.

Doch zur Zeit wird der WeiberWirtschaft noch im Hinterhof von den männlichen Handwerkern der Hof gemacht. Sind die letzten Mauern hochgezogen und die Kabel verlegt, soll auch der letzte Frauentraum verwirklicht werden. Dann werden Konferenzen, Seminare und Messen durchgeführt. Oder Frau verpflegt sich zwischenzeitlich in der preisgünstigen Kantine oder im Biergarten. Künstlerinnen werden drei Ateliers und einen Ausstellungsraum benutzen. Vom heute noch erkennbaren Pferdestall sind bereits zwei Räume an eine Bildhauerin und Malerin vergeben, der dritte bleibt frei für Gastkünstlerinnen.

Zukunftsmelodien werden auch anderweitig angestimmt. Obwohl WeiberWirtschaft eine für Deutschland unbestrittene Vorreiterrolle einnimmt, weil ähnliche Zentren nur in Bremen und Amsterdam existieren, will das „schwache Geschlecht“ auch starke Utopien haben. So sind die WirtschaftsWeiber nicht davon abzuhalten, bestimmte konzeptionelle Schwerpunkte in einem Produktlabel zu bündeln. Auf diese Weise ließe sich erkennen, ob ökologisch produziert oder sozial innovativ gewirtschaftet wird. Auch Konsumentinnen könnten verstärkt sensibilisiert werden, um der Idee eines feministischen Geldkreislaufs eine Realisierungschance zu geben. Wohl deshalb prophezeien die Berliner Genossenschaftlerinnen in ihrem Prospekt: „Unsere Luftschlösser haben U-Bahn- Anschluß.“

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