: Tschernobyl sichert Lebensstandard
■ Die Ukraine fordert mehr Geld von der Europäischen Union für die Stillegung der noch laufenden Reaktorblöcke
Brüssel (taz) – Die Ukraine pokert weiter um Tschernobyl. Mit der Stillegung des Unglücksreaktors könne erst begonnen werden, wenn das ukrainische Parlament zugestimmt habe. Damit verblüffte der stellvertretende Premierminister Jewtuschow gestern die Teilnehmer einer gemeinsamen Konferenz der Europäischen Kommission und der Europäischen Energiestiftung in Brüssel.
Eigentlich hatte sich der ukrainische Präsident Leonid Kutschma im letzten Dezember verpflichtet, die beiden noch laufenden Blöcke 1 und 3 des Unglücksreaktors bis zum Jahr 2000 vom Netz zu nehmen. In einem „Memorandum of Understanding“ versprachen im Gegenzug die westlichen Industriestaaten (G7), rund 3,5 Milliarden Mark für die Umstellung der ukrainischen Energiewirtschaft aufzubringen. Allerdings sollte nur der kleinere Teil dieser Summe, 750 Millionen Mark, als echter Zuschuß gelten, der Rest muß von der Ukraine zurückgezahlt werden.
Die Ukrainer hatten schon im Vorfeld signalisiert, daß diese Summe zu niedrig erschien. Gestern bezifferte Jewtuschow den Aufwand für eine sozio-ökonomische Umstellung der Region auf „mehrere hundert Milliarden Dollar in den nächsten fünzig bis hundert Jahren“. Probleme verursacht im ukrainischen Parlament vor allem der drohende „soziale Abstieg“ der Region um Tschernobyl. „Dort besteht heute der höchste Lebensstandard der ganzen Ukraine. Wenn das Atomkraftwerk dicht gemacht wird, dann muß dies ausgeglichen werden“, erklärte ein hochrangiger ukrainischer Regierungsbeamter.
Aus westlicher Sicht sollte die Konferenz vor allem verdeutlichen, daß die zugesagten Hilfeleistungen ernst gemeint seien und es unter den Geberländern keine Streitigkeiten mehr um die interne Verantwortlichkeit gebe. Nach Angaben von Claude Mandil vom französischen Industrieministerium wird die EU mit ihrem Osteueropa-Hilfsprogramm „Tacis“ 375 Millionen Mark zuschießen. 300 Millionen sollen von einem nuklearen Sicherheitsfonds kommen, in den 13 europäische Länder einzahlen. Die restlichen 75 Millionen Mark der Zuschüsse werden bilateral aufgebracht.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Linkohr, Präsident der europäischen Energiestiftung, mahnte: „Wenn die Blöcke 1 und 3 nicht bald vom Netz gehen, benötigen sie eine Nachbesserung. Und dann werden sie wohl nicht so bald vom Netz genommen.“ Christian Rath
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