: Eine Leiche im Bücherregal Von Ralf Sotscheck
Eins muß man den Briten lassen: Sie sind konsequent. Erst demontieren sie ihr Gesundheitssystem und machen reihenweise Krankenhäuser dicht, und danach sorgen sie sich um die Bürgerrechte der Leichen. Die normale britische Beerdigung sei eine glatte Enttäuschung, meint Lord Young of Dartington, der Gründer des britischen Verbraucherverbandes. „Die Trauergäste werden wie Viehherden durch die Krematoriumskapelle gehetzt“, sagt er, „und die meisten Angehörigen sind in keinerlei Verfassung, um den aggressiven Bestattungsunternehmern Widerstand zu leisten.“
Deshalb hat Young jetzt eine „Tote-Bürger-Charta“ vorgelegt. Sie umfaßt 24 Punkte. Ganz oben steht die Übersichtlichkeit der Preisgestaltung. Ein „Bestattungswächter“ soll aufpassen, daß der Leiche und ihren Angehörigen nicht das Fell über die Ohren gezogen wird. Young wendet sich gegen die geplante Privatisierung der 167 englischen Staatskrematorien, obwohl gerade in diesem Bereich vieles zu wünschen übriglasse: Weil die Gemeinden sich selbst finanzieren sollen, müssen sie die Särge in den Krematorien schnell nachlegen, wenn sich die Sache rentieren soll. Nach durchschnittlich 20 Minuten hat es sich für die Angehörigen ausgetrauert – dann sind die nächsten dran. An Wochenenden und an Feiertagen bleiben die Öfen kalt, weil sonst Lohnzuschläge fällig wären.
Dabei ist keine andere Nation in Europa so scharf darauf, eingeäschert zu werden, wie die Briten. 70 Prozent kommen in die Urne. Soviel waren es nur in der Ex- DDR, in Westdeutschland ist es dagegen nicht mal ein Drittel aller Leichen. Der Soziologe Tony Walter von der Universität Reading wendet sich gegen die „Fließbandabfertigung“ und will den Verblichenen das Recht auf ein breites Produktangebot verschaffen. „Hotels, Schlösser und Landgüter dürfen Hochzeitszeremonien ausrichten“, meint Walter, „warum soll man eine Beerdigungsfeier nicht im Wirtshaus abhalten?“ Der Fußballfan Mike Hoyland stimmt ihm zu. Er hat testamentarisch festgelegt, daß der Pfaffe bei seiner Totenfeier im Trikot des FC Liverpool auftreten muß, während auf der Orgel die Titelmelodie der BBC-Sportschau gespielt wird. Danach darf sich die Trauergemeinde, ebenfalls im Dreß des FC Liverpool, auf Holroyds Kosten in seiner Stammkneipe betrinken. Wer dabei allerdings heult, muß eine Lokalrunde kaufen. Sollte sich Walter mit seiner Forderung durchsetzen, könnte die ganze Feier im Pub stattfinden, und der Priester müßte seinen Altar mit dem Tresen vertauschen.
Im Windschatten der Totenbewegung ist eine neue Zeitschrift auf den Markt gekommen: Mortality liege „voll im Trend der sich wandelnden Bedeutung des Todes in der modernen Gesellschaft“, meinen die Herausgeber. Ob sie mit einer starken Fluktuation bei den Abonnenten der „Sterblichkeit“ rechnen, verraten sie nicht.
Seit neuestem gibt es in London auch einen Begräbnis-Supermarkt. Der Laden hat buntes Neonlicht, die Angestellten dürfen alles tragen – außer Schwarz. Vom Grabstein bis zur Gießkanne ist die Ware ausgepreist, und wer will, kann den Sarg auf dem Dachgepäckträger gleich mit nach Hause nehmen. Für 134 Pfund bekommt man ein Kombiteil: Bis zum Ableben dient es als Bücherregal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen