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Neue Helden, alte Helden

Für den problemlosen Davis-Cup-Sieg über die schwache Schweiz dürfen sich Prinosil und Dreekmann, aber auch Stich und Pilic feiern lassen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

„Les Suisses à terre“ (die Schweizer am Boden) titelte die „Tribune de Genève“ gestern in großen Lettern und behängte die ganze UNO-Stadt mit entsprechenden Plakaten. Nachdem das führende Genfer Lokalblatt seine Leserschaft eine Woche lang mit nationalistisch-lokalpatriotischen Parolen auf einen sicheren Sieg der beiden Schweizer Tennishelden Marc Rosset und Jakob Hlasek über die ungeliebten Nachbarn aus dem Norden eingestimmt hatte, fiel die Kritik nach der großen Pleite gegen die beiden Newcomer aus Deutschland um so gnadenloser aus.

Der große Mann ist nun nicht Rosset, es ist der Amberger David Prinosil (22), die Nummer 44 der Welt, der nach Hlasek gestern auch noch Rosset-Ersatz Alexandre Strambini 6:3, 6:3 schlug (siehe auch Das Portrait, S. 11). Vor dem bedeutungslosen Schlußeinzel stand es 4:0 für die Deutschen, die nun vom 5. bis 7. April nach Frankreich zum Viertelfinale anreisen dürfen.

Kein gutes Haar bleibt mehr am verletzten Lokalmatador. Nach der krankheitsbedingten Absage von Boris Becker und Marc-Kevin Goellner hatte Marc Rosset, der Olympiasieger von Barcelona in der Tribune große Sprüche geklopft und offen dazu aufgerufen, die verbliebenen Spieler des deutschen Teams durch Beklatschen ihrer Fehler zu stören. Davon lasse sich vor allem Michael Stich nervös machen.

Die knapp 12.000 Zuschauer in der fast ausverkauften „Arena“ der Genfer „Palexpo“-Ausstellungshalle – darunter viele aus der deutschsprachigen Schweiz – kamen Rossets Aufforderung zur Unsportlichkeit nach Kräften nach. Mit Kuhglocken, großen Buschtrommeln, Trompeten und aggressiven Sprechchören entfachten sie einen Lärm, der trotz ständiger Aufforderungen von Schiedsrichter Ken Farrar (USA) auch bei den Aufschlägen der deutschen Spieler nie ganz verstummte. Als es Deutschlands Teamchef Niki Pilic einmal wagte, sich bei Farrar über den Lärm zu beschweren, erntete er ein gellendes Pfeifkonzert. Vor allem während der ersten beiden Einzel hätte der Schiedsrichter mehrfach Anlaß gehabt, das Spiel zu unterbrechen. Doch David Prinosil (gegen Hlasek) und Hendrik Dreekmann (gegen Rosset) bewiesen gute Nerven und ließen sich inmitten der aufgeheizten Atmosphäre nicht einen Moment lang aus der Ruhe bringen – ihre wohl größte Leistung in diesem Davis-Cup-Match.

Prinosil hatte auch dann seinen Rhythmus behalten können, als der um neun Jahre ältere und erfahrenere Hlasek (ATP-Nummer 44) eine 2:0-Führung des Deutschen ausgeglichen hatte und in der Halle fast alle mit einem Sieg des Schweizers rechneten (6:4, 7:6, 5:7, 4:6, 6:1). Dreekmanns glatter Dreisatzsieg (6:3, 6:1, 6:4) gegen Rosset bestätigte diese Trendwende.

Über weite Strecken war der Olympiasieger nicht mehr als ein schlechttrainierter Sparringspartner. Arrogant wie eh und je suchte Rosset seine Niederlage mit der Handverletzung zu entschuldigen, die er sich bei einem Turnier im Januar durch einen wutentbrannten Schlag auf eine Holzkante selbst beigebracht hatte. Auf Fragen, ob er diese Unbeherrschtheit inzwischen nicht bereue, reagierte er mit der unwirschen Bemerkung, er habe ja „schließlich keine Frau geschlagen“.

Fast nur noch eine Formsache war der samstägliche Dreisatzsieg (6:2, 7:5, 6:2) im Doppel, das Michael Stich an der Seite von Prinosil gegen Hlasek und den auch in der Schweiz bis dato kaum bekannten Alexandre Strambini (20) bestritt.

Seit der Gesamtsieg – schon vor den beiden Einzeln vom Sonntag – feststand, demonstrierte das Team um Niki Pilic eitel Freude und Harmonie. Prinosil und Dreekmann äußern nun die vorsichtige Erwartung, jetzt vielleicht (hinter Stich und Boris Becker) und anstelle von Goellner und Karbacher „ständige Nr. 3 und Nr. 4 des Davis-Pokal-Teams zu werden“. Artig bedankten sie sich für Stichs „moralische Unterstützung von der Seitenlinie“. Stich, in Beckers Abwesenheit der Chef vom Ganzen, lobte in väterlicher Manier, „daß die beiden Jungen die in sie gesetzen Erwartungen erfüllt haben“. Sogar für Becker („gehört weiterhin zum Daviscup-Team“) hatte er ein paar freundliche Worte übrig.

Keine Frage: Stich, der trotz Verletzung dabei war, hat dieses Wochenende mehr gewonnen als nur das Doppel. Und Teamchef Pilic darf sich auch mal wieder richtig feiern lassen: Er, so darf man nun argumentieren, hat aus der Personalnot eine Tugend gemacht, indem er für Rosset und Hlasek die beiden richtigen Niemande parat hatte.

Bitter enttäuscht zeigten sich die lokalen Fans, die zum Teil mit Kostümen und Federhüten in den Genfer Kantonsfarben Schwarz- Rot-Gelb erschienen waren. Eine Frau tröstete sich schließlich damit, „daß unsere Genfer Fahne fast genauso aussieht wie die deutsche“. Sie hat sogar noch einen Reichsadler drauf.

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