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Der Stausee als Methan- und Kohlendioxid-Bombe

■ Wasserkraft in bewaldeten Tälern frißt nicht nur Landschaft, sondern fördert auch den Treibhauseffekt – manchmal stärker als ein gleich großes Kohlekraftwerk

Washington (IPS) – Staudämme in tropischen Regionen bergen ein erheblich größeres Umweltrisiko als gemeinhin angenommen. Einer brasilianischen Studie zufolge gibt die in einem Stausee verrottende Vegetation entschieden mehr Treibhausgase ab als ein Kohlekraftwerk mit vergleichbarer Leistung.

Schätzungen aus Industriekreisen von 1993 hatten die Abgabe von Kohlendioxid und Methan eines Wasserkraftwerks auf sechs Prozent der Emissionen eines Kohlekraftwerks angesetzt. Die Forschungen von Philip Fearnside, der am brasilianischen Nationalen Forschungsinstitut arbeitet, belegen jedoch, daß beispielsweise der Balbina-Damm in Brasilien 1990 das 26fache der von einem vergleichbaren Kohlekraftwerk abgegebenen Treibhausgase freigesetzt hat.

Fearnsides Studie, die jetzt in dem Schweizer Fachmagazin Environmental Conservation veröffentlicht wurde, bestätigt damit Erkenntnisse eines kanadischen Forschungsteams vom Freshwater Institut in Winnipeg. Fearnside zufolge ist der am Uatuma-Fluß gelegene Balbina-Damm im brasilianischen Bundesstaat Amazonas einer der größten Treibhausgasproduzenten seiner Art. Das 1989 fertiggestellte 112-Megawatt-Projekt, das die Weltbank mit runden 500 Millionen US-Dollar bezuschußte, hat 3.108 nun verrottende Quadratkilometer Regenwald überflutet. Weniger gravierend seien die Emissionen des 4.000-Megawatt- Tucurui-Damms im Bundesstaat Para. Hier vermodern nur 1.926 Quadratkilometer Wald. Die freiwerdenden Treibhausgase belaufen sich in diesem Fall auf 60 Prozent eines vergleichbaren Kohlekraftwerks.

Insgesamt schätzt Fearnside, daß die in der Amazonasregion errichteten Staudämme 37 Millionen Tonnen Kohlendioxid und 260.000 Tonnen Methan produziert haben. Ein Bau der 75 weiteren geplanten Dämme in der Region würde die Emissionen um das 20fache erhöhen, warnte er.

Welch ungesundes Klima der Balbina-Damm verursacht hat, ist den in der näheren Umgebung lebenden Menschen allerdings längst klar. Fofrasia Castro da Silva, Dorfchefin in Pedras, beschreibt ein ungeahntes Fischsterben nach Fertigstellung des Damms. Die während des Verottungsprozesses freiwerdenden Gase haben das Wasser in eine giftige Brühe verwandelt. Hätte man das Stauseegebiet vor Überflutung gerodet, wären diese Probleme nicht entstanden.

Erst konkrete Hinweise auf negative Folgen des Zersetzungsprozesses haben Untersuchungen an den kanadischen Seen Notigi in Nordmanitoba und am Cedar Lake nahe James Bay ergeben. Die Messungen am Notigi, unter dem langsam verrottende Birken begraben sind, haben eine Emission von 7,4 Gramm Methan pro Quadratmeter und Jahr festgestellt. Methan ist im Hinblick auf die Erderwärmung allerdings 60mal so effektiv wie Kohlendioxid. Den Methanemissionen entspräche also ein jährlicher Ausstoß von 444 Gramm Kohlendioxid je Quadratmeter. Der Cedar Lake emittierte jährlich zwischen 15 und 30 Gramm Methan pro Quadratmeter – wieder dem vergleichbar, was ein Kohlekraftwerk gleicher Leistung absondert.

„Jedes Leben vergeht und läßt Methangas freiwerden“, kommentiert Karolyn Wolf von der National Hydropower Association fast beiläufig die neuen Ergebnisse der brasilianischen Studie. Auch ein Regenwald produziere dieses Gas in erheblichen Mengen, und dennoch erwäge niemand, die Wälder deshalb niederzumähen.

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