: Wenn der Euphrat nur noch tröpfelt
Im Kampf um das Wasser verbünden sich Syrien und Irak gegen die Türkei. Sie befürchten, daß ihnen von Euphrat und Tigris nur noch ein Rinnsal bleibt, wenn die Türkei ihre geplanten Staudammprojekte durchführt ■ Von Björn Blaschke
Wer darf wann und vor allem wieviel Wasser nutzen – das war schon immer die entscheidende Frage für die Menschen im Nahen Osten. Derzeit liefern sich Ankara auf der einen und Damaskus auf der anderen Seite mit Schlagzeilen wie „Der Wasserkrieg“ wieder einmal eine erbitterte Medienschlacht. Am Samstag haben nun Syrien und Irak, die schon 1980 ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatten, ihre Feindschaft einstweilen vergessen und Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen im Streit um das Wasser des Euphrat begonnen. Bei den fünftägigen Gesprächen auf Expertenebene soll auch eine spätere Begegnung der Außenminister Iraks und Syriens vorbereitet werden.
Der Anlaß für das neuerliche Aufflammen des Konflikts ist ein Kredit, den die Türkei Mitte Dezember des vergangenen Jahres zum Bau eines Euphrat-Staudammes, dem ein Wasserkraftwerk angeschlossen sein wird, erhalten hat. Das Projekt wird von 44 Banken und Investoren aus zehn Ländern finanziert, soll nach seiner Fertigstellung im Jahr 2001 15 Jahre lang privat betrieben werden und erst danach an den türkischen Staat übergehen. Federführend bei dem 2,3 Milliarden Mark teuren Staudammprojekt ist die Frankfurter Philipp Holzmann AG.
Unmittelbar nach Bekanntwerden des Projektes veröffentlichten die Außenminister von acht Ländern der Arabischen Liga – darunter Ägypten und Saudi-Arabien, die bis dahin die Wasserpolitik Ankaras nur selten kritisiert hatten – die sogenannte „Deklaration von Damaskus“. Darin fordern sie die türkische Regierung auf, einem „gerechten“ multilateralen Abkommen über die Verteilung des Wassers von Euphrat und Tigris zuzustimmen.
Die Regierung in Ankara jedoch wird sich wohl gegen eine Internationalisierung des Konfliktes wehren und die Frage nach der Verteilung des Wassers als bi- beziehungsweise trilaterales Problem abtun, wie schon in den vergangenen vier Jahrzehnten. Seit Mitte der 60er Jahre bereits plant die Türkei, die beiden Flüsse aufzustauen, und seit Anfang der 80er Jahre setzt sie diese Pläne in die Tat um.
Der Damm, der unter deutscher Mithilfe bei Bireçik gebaut wird, ist nur ein Teil des sogenannten Güneydogu Anadolu Projesi (GAP), zu deutsch: Südost-Anatolien-Projekt, das den Bau von insgesamt 22 Staudämmen und 17 Wasserkraftwerken an Euphrat und Tigris vorsieht. Damit werden zwei grundsätzliche Entwicklungsschwerpunkte verfolgt: Einerseits soll die Stromproduktion um 70 Prozent auf 27 Milliarden Kilowattstunden im Jahr gesteigert werden. Andererseits sollen rund 1,6 Millionen Hektar Land bewässert werden, eine Fläche also, die fast so groß ist wie das Saarland und Rheinland-Pfalz zusammengenommen. Nach dem Jahr 2005, so wollen es türkische Agrarexperten, sollen in Südostanatolien erst zwei, später sogar bis zu drei Ernten jährlich eingebracht werden.
Langfristig, bis zum Jahr 2020, sollen in der GAP-Region die verschiedensten Industrien angesiedelt und 1,1 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Das von der Weltbank prognostizierte hohe Bevölkerungswachstum im Nahen Osten – und der damit gesteigerte Bedarf an Industriegütern und Lebensmitteln – lassen derartige Pläne durchaus realistisch erscheinen. Ihre Umsetzung ist sogar wahrscheinlich, wird doch die Türkei spätestens Mitte des kommenden Jahrtausends der einzige Staat der Region sein, der noch über ausreichende Wasserressourcen verfügen wird.
Ob das GAP angesichts der enormen Kosten, die wohl weit über die ursprünglich veranschlagten 23 Milliarden US-Dollar hinausgehen werden, jemals Gewinne abwerfen wird, ist mittlerweile selbst in der Türkei umstritten. Immer wieder verweisen deshalb Stimmen aus Regierungskreisen darauf, daß das Projekt nicht nur vom wirtschaftlichen Standpunkt aus zu betrachten sei, sondern auch politische Ziele verfolge. Insbesondere die 1,1 Millionen Arbeitsplätze sollen den Kurden, die den überwiegenden Teil der Bevölkerung Südostanatoliens stellen, zugute kommen. Aus türkischer Sicht ist der Konflikt mit den Kurden kein ethnisches Problem, sondern wird vielmehr auf den wirtschaftlichen Rückstand der Region zurückgeführt. Also soll der wirtschaftliche Aufschwung Südostanatoliens den Niedergang der kurdischen PKK einleiten.
Der türkische Traum von einem wirtschaftlich entwickelten Südosten ist für die beiden anderen Anrainer von Euphrat und Tigris der Alptraum vom wirtschaftlichen Niedergang. Syrien und der Irak glauben, daß sie durch die türkischen Staumaßnahmen weniger Wasser erhalten werden als bisher.
Ihre Befürchtungen wurden 1987 durch eine Studie des Washingtoner Center for Strategic and International Studies bestätigt. Das CSIS geht davon aus, daß nach der Vollendung des türkischen GAP Syrien mit einer Milliarde, der Irak sogar mit höchstens elf Milliarden Kubikmetern Euphratwasser im Jahr auskommen müssen. Der Irak kann diese Verluste zwar teilweise ausgleichen, weil der Tigris einen großen Teil seines Wassers durch Zuflüsse aus dem Iran erhält; Syrien aber ist zu 90 Prozent vom Euphrat abhängig.
Die Türkei hatte bereits 1989 den 2.800 Kilometer langen Euphrat einen Monat lang zur Füllung des riesigen neuen Atatürk- Stausees abgesperrt. Es teilte danach Syrien über den Euphrat eine Wassermenge von 500 Kubikmetern pro Sekunde zu, während die Regierung in Damaskus 683 Kubikmeter pro Sekunde verlangt und nach eigenen Angaben vor Vollendung des Staudamms 850 Kubikmeter pro Sekunde erhielt. Seit dem 13. Januar 1990, dem Tag der Inbetriebnahme des Atatürk-Damms, leidet die Bevölkerung Syriens immer wieder unter Stromausfällen, weil die Turbinen des syrischen Tabqa-Dammes stillstehen: Der Euphrat führt zu wenig Wasser, um sie anzutreiben.
Die Regierung in Damaskus reagiert auf ihre Art: Seit Mitte der achtziger Jahre unterstützt sie die kurdische PKK, um auf diese Weise von Ankara mehr Wasser zu erpressen. Daran änderte auch ein Protokoll nichts, das der damalige türkische Staatspräsident Turgut Özal 1987 in Damaskus durchsetzte. Darin sicherte Özal Syrien 500 Kubikmeter Euphratwasser in der Sekunde zu und erhielt im Gegenzug die Versicherung, daß Damaskus die Unterstützung der PKK aufgeben würde.
Nach wie vor bestehen Syrien und der Irak darauf, daß das Waser von Euphrat und Tigris „internationale Ressourcen“ darstelle, die gemäß internationalen Rechtsregeln geteilt werden müssen – in einem multilateralen Abkommen. Ankara jedoch zieht sich auf eine Position zurück, die unter Völkerrechtlern als veraltet gilt. Da Euphrat und Tigris in der Türkei entspringen, „gehöre“ das Wasser der Türkei.
Für die Weltbank war diese Uneinigkeit zwischen den drei Anrainerstaaten immer Grund genug, das türkische GAP nicht zu unterstützen. Zu groß sei die Gefahr, daß es zu Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Parteien kommen könnte. Allein deshalb ist für die Türkei die Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen wie dem internationalen Konsortium, das sich unter Federführung der Frankfurter Philipp Holzmann AG gebildet hat, notwendig.
Die neuesten Bautätigkeiten bei Bireçik am Euphrat stellen jedoch wohl nur den äußeren Anlaß für die jüngsten Auseinandersetzugen dar. Diplomatenkreise bringen sie vielmehr mit den Friedensverhandlungen zwischen Syrien und Israel in Verbindung. Zwei der zentralen Fragen bei diesen Verhandlungen betreffen den Terrorismus und die Verteilung der Wasserressourcen. Syrien werde in der Folge über kurz oder lang die PKK fallen lassen. Die Türkei, so heißt es weiter, gerate dadurch zunehmend unter Druck seiner westlichen Verbündeten. Als der einzige Staat, der über zukunftssichere Wasserressourcen verfügt, solle die Türkei im Gegenzug Syrien nachgeben, mehr Wasser über die gemeinsame Grenze fließen lassen und damit zu einem langfristigen Frieden im Mittleren Osten beitragen.
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