: Plagiat schlägt Original
■ Nach dem 2:1 gegen die Bayern träumt der HSV als Ligadritter vom Europacup
Hamburg (taz) – Ein paar Gewerbebetriebe, ein trostloser Park und ein Ausschankverbot für alkoholische Getränke: Normalerweise ist das Gebiet um das Volksparkstadion eine halbe Stunde nach Spielende wie ausgestorben. Doch am Sonntag abend hallten, während die Journalisten auf die Pressekonferenz warteten, immer noch Gesänge der HSV-Fans ins Stadion. „Wahnsinn“ und „Gigantisch“ titelte Bild am nächsten Tag. Dabei hat der HSV doch nur ein Fußballspiel gewonnen; gegen eine Mannschaft, die in der Tabelle zwei Plätze weiter vorn stand. Und das auch noch mit viel Dusel.
Die leicht übertriebene Freude über den 2:1-Erfolg der Hamburger gegen den FC Bayern muß also noch andere Gründe haben. Sicherlich kehren Euphorie und Schadenfreude auch andernorts ein, wo professionell gegen den Ball getreten wird, wenn der deutsche Rekordmeister mit einer Niederlage nach Hause geschickt wird. Bei kleinen Vereinen, die mit dem Nimbus belastet sind, etwas anders zu sein, ist dies durchaus verständlich. Für die Anhänger des KFC Uerdingen (oder auch jene vom FC St. Pauli) bewahren solche Siege die Illusion, daß Geld nicht alles im Fußballgeschäft sei. Ein Triumph der Andersartigkeit sozusagen.
Der HSV allerdings will gar nicht anders sein. Im Gegenteil. Trotz jahrelanger sportlicher Flaute sieht sich der Anhang des Europapokalsiegers der Landesmeister (Jahrgang 1983) immer noch als nördliches Gegenstück zum bayerischen Erfolgsensemble. Die durch Fanfolklore wie „Scheiß-FC-Bayern“-Gesänge artikulierte Abneigung, die in juvenilen Westkurven-Fankreisen so beliebte Wortkombination „Schweine-Bayern“ spiegeln nicht mehr wider als banken Neid. Wenn man einmal von den üblichen Vorbehalten der Hamburger gegen süddeutsche Volksstämme absieht.
Alles Streben in Hamburg gilt dem Ansinnen, das System Bayern zu plagiieren. Die Vereinsikone Uwe Seeler wurde zu Krisenzeiten von der Ortspresse auf den Präsidentenstuhl gehievt und soll Franz- like den Esprit vergangener Erfolge verströmen. Und auch dem Merchandising-Geschäft wird jetzt vollste präsidiale Aufmerksamkeit gewidmet, nachdem die Bayern vorgemacht haben, daß sich mit Devotionalienverhökerei jährlich Millionensummen verdienen lassen. Das neueste Produkt des HSV: Dosenbier mit Vereinswappen. Es handelt sich um jene Marke, deren alkoholfreie Version im Stadion ausgeschenkt wird (aus unerfindlichen Gründen mit dem Logo „Fun“ bedacht).
Relativ nüchtern begann übrigens auch die sonntägliche Begegnung für den HSV. Zwar erspielten sich die Hamburger auf dem von Schnee geräumten, aber trotzdem rutschigen Rasen eine gewisse optische Überlegenheit. „Irreguläre Bedingungen“ waren das für Bayern-Trainer Otto Rehhagel. Später. Zunächst schoß aber Mehmet Scholl (28.) das 1:0 für den FC Bayern. Es folgte ein Anrennen auf das Bayerntor mit sogenannten hundertprozentigen Torchancen, Bälle, die allerdings alle vom Bayern-Torwart Oliver Kahn aufs wundersamste gehalten wurden. Sein Gegenüber Golz durfte über Mangel an Arbeit auch nicht klagen. Mehrmals tauchten Klinsmann (weniger) und Co. (eher) relativ allein vor seinem Gehäuse auf. Aber entweder griff sich Richard Golz den Ball, oder aber ein HSV-Spieler warf sich in allerletzter Sekunde dazwischen.
Irgendwann waren Teile der HSV-Fans so gefrustet, daß sie im festen Glauben, ihr Team werde es nicht mehr schaffen, bereits fünf Minuten vor Spielende das Stadion verließen. Somit entgingen ihnen nicht nur die 86. Minute, als André Breitenreiter nach Vorarbeit von Karsten Bäron den Ausgleich erzielte, sondern auch der Jubelmoment der Hamburger, als nämlich der eingewechselte Uwe Jähnig für den 2:1-Endstand sorgte (89.).
Es ist dies ein Ergebnis, das den HSV auf den dritten Tabellenplatz bringt. Neun Punkte zwar, doch nur noch einen Platz hinter den Bayern. Und allemal ein Grund, wieder von Europapokalzeiten zu träumen. Kai Rehländer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen