Fliegen auf der Fensterbank

■ Gestern vor Gericht: Bremer Fleischgroßhändler akzeptiert 10.000 Mark Strafe für 70 Verstöße gegen die Fleischhygieneordnung - nach langem Hin und Her

Spinnweben hingen laut Zeugenaussagen in der Halle eines Bremer Fleischgroßhändlers von der Decke. Tröge mit Fleisch standen auf dem Fußboden. Tote Fliegen lagen auf der Fensterbank – den Lebensmittelkontrolleuren des Stadtamtes bot sich ein wenig appetitliches Bild als sie im September 1994 die Hallen des Fleischgroßhändlers R. im Gewerbegebiet Bremer Kreuz besichtigten: Das Desinfektionsbecken war mit einer krustigen Schmutzschicht überzogen. Die Toilettentüren standen offen. Ein Handwaschbecken war verstopft, und die Umkleideschränke waren angerostet. Die Halle war nach Ansicht der Kontrolleure für die Fleischverarbeitung viel zu warm. Acht mal innerhalb eines Monats besuchten sie den Betrieb. 70 Verstöße gegen die Fleischhygieneordnung stellten sie insgesamt fest.

„Alles nur Peanuts“, winkte der Anwalt des Unternehmers gestern vor Gericht ab. „Frau Dr. S. ist halt neu im Geschäft, die sieht das halt ein bißchen anders. Das ist kein Sauladen“, wagt er einen Seitenhieb auf die Sachverständige vom Veterinäramt. „Naja“, entgegnet der Staatsanwalt. „Wenn man sich die Bilder anguckt, da fällt man hinten über.“ Der Anwalt wiegt seinen Kopf hin und her. Noch ist die Verhandlung vor dem Amtsgericht nicht eröffnet. Der Jurist versucht im Vorwege, die Chancen für eine Einstellung auszuloten. 5.000 Mark Erzwingungsgeld sollte der Fleischgroßhändler nach den Besuchen der Lebensmittelkontrolleure zahlen. Als sich die Zustände in seinem Betrieb innerhalb der gesetzten Frist nicht änderten, brummten ihm die Behörden außerdem ein Bußgeld von 5.000 Mark auf. Das kann der Fleischgroßhändler nicht einsehen – er fühlt sich doppelt bestraft. Gegen den Bußgeldbescheid hat er Einspruch eingelegt.

„Es ist doch danach nichts mehr gewesen. Da kann man doch... “, versucht der Anwalt den Staatsanwalt und den Richter zu besänftigen. „Also ich erwarte von einem Lebensmittelbetrieb, daß er tip-top sauber ist“, erwidert der Staatsanwalt. „Durch die mangelnde Hygiene können immerhin schlimme Krankheiten übertragen werden. Ich habe sowas jetzt selbst ein paar Mal gehabt...“ Auch der Richter signalisiert, daß er der Argumentation des Anwaltes nicht folgen kann. Er habe just an diesem Morgen eine Fleischverkäuferin zu einer Geldbuße von 400 Mark verurteilt. Die Frau habe infiziertes Fleisch verkauft. „Als Lieferanten hat sie Ihre Firma angegeben“, sagt der Richter und blickt den Angeklagten an. „Was“, entfährt es dem Fleischgroßhändler. „Und da war tatsächlich infiziertes Fleisch im Spiel“, fragt der Anwalt nach. Der Richter nickt.

Er sei günstig davon gekommen, versucht der Staatsanwalt den Unternehmer, dazu zu bewegen, den Einspruch zurückzunehmen. Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes könnten die acht Besuche der Lebensmittelkontrolleure auch als Einzeltaten gewertet werden, die mit einem Bußgeld von je 5.000 Mark (40.000 Mark) geahndet werden könnten. „Die Buße ist doch bei Ihren Entnahmen nicht so hoch“, schließt er. Der Angeklagte grinst. Sein monatliches Einkommen hat er mit 8.000 Mark angegeben.

Der Verteidiger berät einen Moment lang mit seinem Mandanten. Nur Gesprächsfetzen sind zu hören. „Dann könnte alles noch teurer werden“, flüstert der Anwalt. Der Angeklagte nickt. Er nimmt seinen Einspruch zurück. Die Verhandlung ist beendet, bevor sie begonnen hat. Der Angeklagte bleibt auf einen Moment lang auf seinem Stuhl sitzen. Offenbar kann er noch nicht fassen, daß „die Verhandlung“ nun doch so schnell zu Ende gegangen ist. „Können wir nach Hause gehen“, fragt er entgeistert. „Ja, sie können nach Hause gehen“, versichert ihm sein Anwalt. kes