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DokumentationKlassik nur bei den Privaten?

■ Offener Brief der Radio Bremen-Personals Abt. E-Musik an Intendant Klostermeier / Vorwurf der Sendeplatz-Ausdünnung

Bei Radio Bremen hängt der Haussegen schief. Mit einem offenen Brief haben jetzt die MitarbeiterInnen aus der Abteilung E-Musik (Klassik) bei Intendant Karl-Heinz Klostermeier gegen die Ausdünnung ihrer Sendeplätze demonstriert. Für Aufruhr hat im Sender auch ein Diskussionspapier von Hansawellen-Chef Christian Berg gesorgt. Er kritisiert darin die Kulturredaktionen, die „sich selbst einen natürlich nicht zu kontrollierenden kreativ-schöpferischen Fünf-Stunden-Tag verordnen“. Die taz dokumentiert heute längere Auszüge des umstrittenen Papiers (vgl. S.22).

„Lieber Herr Klostermeier,

der Abteilungsleiter E-Musik, Peter Schilbach, hat zum 5. Februar 1996 aus Protest über den stufenweisen Abbau der E-Musik aus den Hörfunkprogrammen von Radio Bremen seine Leitungsfunktion zurückgegeben. Es ist uns unverständlich, daß die kompetenten Programmvorstellungen eines auch auf ARD-Ebene geschätzten Kollegen in diesem Haus keine Akzeptanz finden. Letzten Anstoß zu Schilbachs Schritt war das Ansinnen der Programmleitung, klassische E-Musik-Sendungen noch weiter zurückzudrängen.

Peter Schilbachs Beweggründe werden von der gesamten E-Musik-Redaktion geteilt. Wir alle solidarisieren uns mit ihm! Wir tun dies in gemeinsamer Sorge um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Bremen, der nach unserer Meinung einen wesentlichen Teil seines kulturellen Auftrages zu vernachlässigen beginnt.

Erinnern wir uns:

Am 1. September 1995 wurde die Klassikwelle zugunsten der Melodiewelle eingestellt. In diesem Zusammenhang wurde die Stelle des Wellenchefs der E-Musik ersatzlos gestrichen. Damit wurde die Position der E-Musik im Haus und im Programm erheblich geschwächt. Der Rundfunkrat und wir haben dies akzeptieren müssen, weil Kompensation angeboten wurde.

Versprechungen des Programmdirektors damals: „Neu zu gestaltende Flächen“ auf RB 2; unangefochtene Sendezeiten von 18.00-24.00 auf der 3. Welle; die Abteilung E-Musik von RB bleibt erhalten; der Abteilungsleiter erhält Einladungen, wenn in den Wellenleiter-Sitzungen Fragen der E-Musik erörtert werden; der Etat bleibt erhalten, die Produktionsmöglichkeiten werden nicht eingeschränkt.

Realität: Tagsüber findet E-Musik auf RB 2 nur marginal statt, in den anderen drei Programmen kommt sie erst gar nicht vor. Wer zur besten Hörfunksendezeit klassische Musik sucht, muß zum NDR, zum DeutschlandRadio/Deutschlandfunk oder zu den Privaten wechseln. Nun soll auch noch die E-Musik-Strecke von 18.00-21.00 Uhr auf RB 3 – Melodie zum Abschuß freigegeben werden. Die E-Musik ist von den Programmleitern bezüglich Planung und künftiger Gestaltung unserer Programme weitgehend ausgegrenzt worden. Wir haben zum Rechnungsjahr 1996 empfindliche Etatkürzungen hinnehmen müssen, obwohl unsere Programmaufgaben schon jetzt mit denkbar geringstem Aufwand erfüllt werden.

Die MitarbeiterInnen der E-Musik-Abteilung warnen die Programmverantwortlichen des Hauses dringend vor den Folgen der bereits vollzogenen und der noch geplanten Schritte. Wir fordern Sie auf, gerade die RB-spezifischen Qualitäten zu erhalten, damit wir auch in Zukunft einen Beitrag zur Existenzsicherung und -berechtigung unseres Hauses leisten können – mit kreativen, musikalischen, konventionellen und experimentellen Programmen für die „die nächsten 50 Jahre“.

Ihre MitarbeiterInnen der E-Musik

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