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Höret die weiblichen Töne

■ Am Wochenende tagt die Sektion „Frauen- und Geschlechterforschung“ der Gesellschaft für Musikforschung in der Stadt

„Daß Frauen auf bestimmten Gebieten einfach nicht in der Lage sind, Großes zu leisten traue sich ja heute niemand mehr zu sagen“, schimpfte der Ober-Chauvi Marcel Reich-Ranicki. „Es hat in der Geschichte keine Frau gegeben, die eine Oper komponiert hat. Frauen können nicht bildhauern und keine Dramen schreiben...In Deutschland sind Literatinnen doch nur verhuschte Wesen, die ständig in Ohnmacht fallen und Lyrisch-Märchenhaftes von sich geben. Gräßlich!“

Marcel Reich-Ranicki hat immer gern gepoltert aber hier spiegelt er das grundsätzliche Klima im nach wie vor männlichen Kunstbetrieb wider. Von der Kunst der Frauen spricht niemand, es sei denn sie selbst.

Das wird nun auch in Bremen geschehen, denn hier findet am Wochenende die erste Tagung der Sektion „Frauen- und Geschlechterforschung“ der „Gesellschaft für Musikforschung“ in der Hoschule für Musik statt. Seit einiger Zeit versucht man in Deutschland, Anschluß an die traditionelle Musikforschung zu bekommen. Über vierzig Wissenschaftlerinnen haben sich aus dem In- und Ausland angemeldet, um Vorträge zu halten, über Aktivitäten zu berichten und sich auszutauschen.Die Organisatorinnen haben sich entschieden, nicht thematisch einzugrenzen, sondern ein buntes Bild des derzeitigen Standes anzubieten, eines, das auch für viele Gäste interessant sein wird.

So wechselt Biographisches mit musikalischen Darbietungen, es wird etwas zu erfahren sein über die Stuttgarter Komponistin Emilie Zumsteeg (1796-1857), über die Sinfonien von Emilie Mayer (1821-1883), über Louise Adolpha le Beau (1850-1912) und über Lina Ramann (1833-1912). Übrigens hat Le Beau im Alter von 60 Jahren ihre Memoiren einzig deswegen geschrieben, weil sie auf die Schwierigkeiten hinweisen wollte, die einer Komponistin in den Weg gelegt werden: Es gibt keine einzige Künstlerin, die sich nicht in Vorworten, Briefen, Widmungen und Dankschreiben ausdrücklich damit beschäftigen muß, daß sie eine Frau ist. Darüberhinaus sind Themen zu finden aus der Pädagogik, aus dem Jazz und vieles andere.

Ein kurzes Wochenende, die schreckliche und wahre Vision der Wissenschaftlerin Anna Maria Schuurmann aus dem 17. Jahrhundert zu überwinden: „Daher wird es geschehen, daß in späteren Zeiten der Leser der Geschichte während einer langen Epoche nicht mehr Erinnerung an unsere Namen findet, als ein Schiff Spuren hinterläßt auf seinem Weg durch die Wellen“.

Gezielt werden in den letzten Jahrzehnten wissenschaftliche und praktische Kongresse und Festivals organisiert, die sich auf die Spurensuche einer nach wie vor verschollenen Geschichte begeben: Die „International Encyclopedia of Women Composers“ nennt über 6000 Komponistinnen.

In den USA, wo die Frauen ohnehin Vorreiterinnen feministischer Theorien sind, hat sich im Zusammenhang mit den Kulturwissenschaften (gender studies) eine neue Strömung „feminist musicology“ etabliert. Nach Minneapolis (1991) und Rochester (1993) wurde auf dem dritten Kongreß in Kalifornien (1995) zum Beispiel schwerpunktmäßig darüber diskutiert, wie die Erfahrungen des Geschlechts als Kategorie wissenschaftlicher Forschung anzuwenden wären.

Die Suche gestaltet sich schwierig: Manuskripte liegen fest verschnürt und unkatalogisiert in den Kellern von Bibliotheken, Forschungsgelder fehlen. Fast alles, was dennoch gefunden wird, basiert auf ehrenamtlicher Arbeit. Als die Kölner Dirigentin Elke Mascha Blankenburg in Bologna die Erstdrucke der Madrigale von Barbara Strozzi (1644) sehen wollte, stellte sich heraus, daß seit zweihundert Jahren die verschnürten Drucke ungeöffnet waren. In den Lexika der letzten 150 Jahre aber steht zu lesen, ihre Musik sei mittelmäßig.

Ute Schalz-Laurenze

Die Tagung findet ab Freitag, bei freiem Eintritt ab 12 Uhr, im Raum 108 der HfK in der Dechanatstr. statt und endet am Samstag um 13.30 Informationen Tel. 218 3424 oder Fax 218 7380.

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