: Die Quadratur des Kreises versuchen
Wie kann Berlin in der öffentlichen Verwaltung sparen? Arbeitszeitverkürzung ohne Einkommensausgleich könnte ein Drittel der gefährdeten 17.300 Stellen erhalten. „Kürzungen bei Beamten sind rechtlich problemlos“ ■ Von Christian Füller und Dirk Wildt
Das Land Berlin könnte den offenbar unvermeidlichen Stellenabbau im öffentlichen Dienst umsetzen, ohne Tausende von Arbeitsplätzen zu streichen. Die hohen Personalausgaben, die über ein Drittel des Landeshaushalts ausmachen, wären auch durch Arbeitszeitverkürzungen ohne Gehaltsausgleich zu senken. Eine zehnprozentige Kürzung in den oberen Gehaltsgruppen würde zum Beispiel rund 6.000 Arbeitsplätze in der wirtschaftlichen Krisenregion Berlin-Brandenburg sichern. Das wäre ein Drittel der 17.300 Jobs, die nach dem Willen von CDU und SPD im Staatsdienst künftig wegfallen sollen.
Die Kappung von Arbeitszeit und Gehalt dürfte allerdings nur die „besserverdienenden“ Angestellten und Beamten treffen. Für kleine Staatsdiener wäre das nicht verkraftbar. Etwa ein Drittel der 174.000 Beschäftigten in Berlins Senats- und Bezirksbürokratie verdienen im Jahr 70.000 Mark brutto und mehr (siehe Grafik). Eine zehnprozentige Kürzung von Arbeitszeit und Gehalt bei dieser Gruppe erbrächte rund 350 Millionen Mark eingesparte Personalmittel. Davon ließen sich – wie die taz auf der Grundlage der Beschäftigungsstruktur im Staatsdienst berechnete – 90-Prozent-Jobs für rund 6.000 Menschen schaffen.
Das Land Berlin ist mit 174.000 Beschäftigten allein in der engeren Staatsverwaltung der größte Arbeitgeber der Region Berlin-Brandenburg. Der vorgesehene Stellenabbau, den die Große Koalition dem de facto bankrotten Stadtstaat zwecks Sanierung verordnet hat, würde die katastrophale Arbeitsmarktlage in der Region weiter verschlimmern. Nach den jüngsten Zahlen des Landesarbeitsamts sind in Berlin-Brandenburg über 400.000 Menschen ohne bezahlte Arbeit. Die Kürzung von Arbeitszeit ohne Gehaltsausgleich im öffentlichen Dienst hatte die Berliner SPD im Januar in die Koalitionsvereinbarungen eingebracht. Die CDU hatte den Vorschlag, der sich am sogenannten VW-Modell orientiert, jedoch abgelehnt. Wegen der Einkommensverluste für die betroffenen Staatsdiener sei eine Gehaltskürzung „schlichtweg unmöglich“, sagte damals der Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Volker Liepelt.
Das VW-Modell hatte 1993 in ganz Europa Furore gemacht. Der Wolfsburger Automobilhersteller hatte statt der Entlassung von etwa 30.000 Menschen seiner Belegschaft Arbeitszeit und Lohn gekürzt und dafür 100.000 Arbeitern den Job garantiert. Das Unternehmen konnte seine Kosten erheblich senken und, wie gewünscht, die Arbeitszeiten flexibilisieren.
Im öffentlichen Dienst dürfte ein VW-Modell sehr viel schwerer auszuhandeln sein. Das liegt an der komplizierten Beschäftigungsstruktur des Staats: Berlin zählt rund 64.000 Angestellte und 19.000 Arbeiter, deren Arbeitsverhältnisse die öffentlichen Arbeitgeber und diverse Gewerkschaften per Tarifvertrag frei aushandeln. Außerdem arbeiten 91.000 Beamte beim Staat, deren Dienstverhältnisse durch eine Vielzahl von Gesetzen geregelt sind. Diese Gesetze, meint die zuständige Senatsinnenverwaltung, müßten geändert werden – ansonsten sei eine Arbeitszeitverkürzung bei Beamten nicht verfassungskonform zu gestalten.
In einem internen Papier fährt die Innenbehörde schweres Geschütz gegen eine Arbeitszeitverkürzung bei Beamten auf: Dies könne „zu einer – weiteren – Aufweichung der Struktur des Beamtentums führen“ und dessen Existenz gefährden.
Die Arbeitszeit- und Soldverkürzung wäre jedoch nach Ansicht des renommierten Beamtenrechtlers Helmut Lecheler einfacher als gedacht. Der eng mit dem Beamtenbund kooperierende Rechtsprofessor der FU Berlin sieht dafür juristisch „kein zwingendes Hindernis“. Eine Gehaltskürzung sei rechtlich möglich, sagte Lecheler, sofern eine „angemessene Alimentation“ der Beamten gewährleistet bleibe. Zu deutsch: Ein Staatsdiener müßte auch mit 90prozentigem Restgehalt noch ein angemessenes Leben führen können. Anders als die Senatsverwaltung für Inneres stuft der Dienstrechtsspezialist eine 10prozentige Arbeitszeitverkürzung nicht als Teilzeitarbeit ein. Das würde ein VW-Modell für den Staatsdienst erleichtern, weil dann weder Bundesgesetze noch das Grundgesetz geändert werden müßten.
Bei den Angestellten ist eine Gehaltskürzung nicht an der mächtigen Gewerkschaft ÖTV vorbei zu machen. Die ÖTV setzt dabei unbedingt auf Freiwilligkeit. Für eine zehnprozentige Arbeitszeit- und Gehaltskürzung müßten sich die Angestellten auf jeden Fall freiwillig entscheiden können. Die ÖTV sieht Arbeitszeitverkürzungen – ähnlich wie beim VW-Modell – als Teil eines Pakets. Dazu gehörten: der gleitende Ein- und Ausstieg in Verwaltungsjobs, eine Lösung für die sich verkürzenden Rentenanwartschaften, Kündigungsschutz und tarifvertraglich vereinbarte Neueinstellungen.
Ein solche „verbindliche Regelung für die zu schaffenden Arbeitsplätze“, das weiß ÖTV-Chef Kurt Lange, gab es bislang nie. Und sie wäre, angesichts der schwierigen Haushaltssituation schwerer denn je zu vereinbaren. Im Gegenteil: Der Abbau von 17.300 Stellen bis 1999 ist für Finanz- und Innenverwaltung abgemachte Sache. Trotzdem hat ÖTV-Boß Lange der Arbeitszeitverkürzung keine prinzipielle Absage erteilt. In einem taz-Gespräch hielt er dies sogar bei Angestellten mit einem Bruttoverdienst von 65.000 Mark für machbar ( siehe taz vom 27.1.96).
„Wir wären ja dämlich, wenn wir einen solchen Vorschlag nicht aufgreifen würden“, reagierte die für Arbeitsmarktpolitik zuständige Senatorin, Christine Bergmann, auf diese halbe Offerte Langes. Bergmann gilt als progressive Arbeitsmarktpolitikerin. In ihrer Behörde gibt es nicht nur viel weitreichendere Arbeitszeitmodelle als das einer zehnprozentigen Arbeitszeitverkürzung. Die stellvertretende Bürgermeisterin hat Berechnungen anstellen lassen, die bei Arbeitszeitverkürung ein Potential von über 6.000 Stellen ausweisen. Dabei handelt es sich aber um echte Teilzeitstellen mit Einkommensminderungen von bis zu 25 Prozent. Arbeitssenatorin Bergmann sagte denn auch einschränkend, es komme der „Quadratur des Kreises“ nahe, ihre Teilzeitmodelle mit diesem „furchtbaren Haushaltsproblem“ in Einklang zu bringen. Das Land Berlin muß in einem Nachtragshaushalt für 1996 eine Deckungslücke von etwa vier Milliarden Mark ausgleichen. Eine halbe Milliarde davon soll aus dem Stellenabbau kommen.
Bei der Innenverwaltung dürfte die Arbeitssenatorin mit ihrer Vorstellung vom Staatsdiener in Teilzeit ohnehin auf Granit beißen. Neben den Ängsten ums Beamtentum mißfällt der Innenverwaltung, daß ein VW-Modell im öffentlichen Dienst notwendig mit gewerkschaftlichen Einfluß auf Stellenpläne verbunden wäre. Eine mit der ÖTV (tarif-)vertraglich festzulegende Zahl an Beschäftigten ist für die Truppe von Jörg Schönbohm aber geradezu ein Horror. Die ÖTV wolle „einen ,Naturpark‘ geschützter Arbeitsplätze“ für ihre Klientel, heißt es in dem internen Papier. Wäre dies erst erreicht, könne eine Landesregierung „massiv vorgetragenen Forderungen der Gewerkschaft nichts mehr entgegensetzen“.
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