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Geschichtsauffrischung

■ Druckgraphiken bezeugen im Museum für Kunst und Gewerbe die Zeitläufe „Von Napoleon bis Bismarck“

„Wie Germania und Michel sich gegen den Eroberer wehren, sich dann erheben und schließlich gemeinsam ein Reich gründen“: So faßt der Katalog der Druckgraphikausstellung im Bilderbuchstil die gewundene deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts Von Napoleon zu Bismarck zusammen. Mehr noch als jeder Text vermögen die Karikaturen und graphischen Erinnerungsblätter des Museums für Kunst und Gewerbe die verschrobenen Zeitläufe voller gescheiterter Revolutionen, gewonnener Kriege, bürgerlichem Aufstieg und kaiserlichem Anspruch zu beleuchten. Die 90 teils einzigartigen Blätter – aus der um die 3500 Blätter umfassenden hauseigenen Sammlung zusammengestellt – bieten eine lustvolle Geschichtsauffrischung in großer Vielfalt der Materialien, Techniken und Themen.

Die nur mühsam in sieben Abteilungen gegliederte Auswahl vermengt absichtlich die Genres und Bildzwecke. Sie hat etwas von einer privaten Sammlung oder einem Fischzug durch Graphikkabinette – und genau so ist sie auch entstanden. Denn bisher war das noch unter dem Gründungsdirektor Justus Brinckmann erworbene Material nicht wissenschaftlich erfaßt, jetzt ist die politische Graphik gleich in die Computer-Datenbank eingespeist worden. Nicht nur, daß sich aus dem Verborgenen nunmehr eine der wichtigsten deutschen Sammlungen ihrer Art entpuppte, gibt dem Lokalpatriotismus Futter, manche Blätter betreffen auch die Stadtgeschichte.

Die Jahrhundertkatastrophe des Hamburger Brandes, die 1814 als Befreier vom französischen Joch gekommenen Baschkiren und Kosaken-Truppen beim Camp zwischen den zerschossenen Ruinen der Vorstädte und ein Rathausmarkt ohne Rathaus, aber mit Triumphtor für die siegreichen Hamburger Truppen des Frankreich-Feldzuges 1871, bilden die kriegerischen Eckpunkte des Jahrhunderts. Blätter zu Schinkels und Sempers Antiken-Rezeption bis zum Kult um den Fertigbau der gotischen Dome belegen die Baukultur, die aufwendige Festkultur zeigen Erinnerungsblätter zu Schiller-Feier und Oktoberfest-Umzügen.

Die vor der Illustrierten und dem TV einzig aktuelle Bildproduktion war den verschiedensten Zwecken dienstbar: Für die Unternehmer verherrlichte sie rauchende Fabrikschlote, in Vormärz und 1848er-Revolution agitierte sie politisch und war dabei stets von der Staatsmacht gefährdet. Ob der politische Gegner mit dem Arsch denkt oder Staatsereignisse verherrlicht werden, zwischen bedeutungsüberfrachtender Allegorisierung des Zeitgeschehens und auf den Punkt reduzierter Karikatur gelingt ein anregender Gang durch deutsche Vorstellungswelten zwischen Französischer Revolution und Wilhelminischem Reich.

Hajo Schiff

Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Katalog 160 Seiten, 35 Mark, bis 19. März.

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