: Ein trojanisches Pferd wie viele andere
Wie soll mit der Vergangenheit des SS-Mannes und späteren Germanisten Hans Schwerte alias Hans Ernst Schneider umgegangen werden? Ein Symposium in Erlangen ■ Von Manfred Otzelberger
Soll einem früheren SS-Mann und späteren „linksliberalen“ Germanisten der Doktortitel aberkannt werden? Der Erlanger Unirektor Gotthard Jasper hält wenig davon, seinen ehemaligen Kollegen Hans Schwerte derart zu strafen. „Schwertes Vergehen ist kein Verstoß gegen fundamentale Prinzipien der Rechts- und Sittenordnung.“ Entschließe sich der Promotionsausschuß zu der symbolischen Abstrafung, „würde uns wohl das Verwaltungsgericht stoppen“. So warnte Jasper beim Symposium „Ein Germanist und seine Wissenschaft“, mit dem die Uni den Fall aufarbeiten wollte.
Schwertes Vergehen war eine der ärgsten Täuschungsaktionen der deutschen Wissenschaftsgeschichte. In der NS-Zeit hatte er noch auf den Namen Hans Ernst Schneider gehört und es bis zum Leiter des „germanistischen Wissenschaftseinsatzes in der SS-Organisation Ahnenerbe“ gebracht. Dort kümmerte er sich unter anderem um die Schaffung eines „neuen geselligen volks- und artgemäßen Tanzes“ und die Germanisierung der Niederlande, indem er ein Netzwerk der Kollaborateure aufbaute.
Nach 1945 ließ sich der SS- Hauptsturmführer für tot erklären, heiratete seine „Witwe“ wieder und machte unter dem Namen Hans Schwerte eine glänzende Germanistenkarriere. In Erlangen promovierte er über Rilke und habilitierte sich über Faust, in Aachen stieg er gar zum Ordinarius, Rektor und Bundesverdienstkreuzträger auf. Betont linksliberal, beliebt, geachtet. Der Absturz kam im Alter von 85 Jahren: Reporter des holländischen Fernsehens enthüllten seine wahre Identität. Zuvor hatte sich Schwerte vorsichtshalber beim nordrhein-westfälischen Kulturministerium geoutet: „Die tiefe Scham und Trauer über die vom Nationalsozialismus – besonders von der SS, deren Uniform ich trug – angerichteten Schand- und Mordtaten habe ich bis heute zu keiner Stunde verlassen.“
Marita Keilson-Lauritz, Literaturwissenschaftlerin aus Amsterdam, nimmt ihm die Läuterung ab. Die zackigen Töne in Schneiders frühen Schriften, wenn er etwa zur „Teilnahme am völkischen Schicksal“ mahnt, haben sie zwar entsetzt: „Wenn ich das geschrieben hätte, hätte ich meinen Namen auch geändert.“ Aber dennoch – sie hat bei Schwerte promoviert, rühmt seine „philologische Gewissenhaftigkeit“ und rügt Pensionsstopp und Beamtenaberkennung durch das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium. „Es geht nicht an, daß ein alter Mann mit dieser Geschichte seiner finanziellen Mittel, seiner Wohnung und seiner Bibliothek beraubt wird. Wenn es denn so wäre, daß wir uns Humanität in diesem ,Fall Schwerte‘ nicht leisten können, dann würde sich erst das Ausmaß der deutschen Tragödie offenbaren.“ Ähnlich großzügig sieht es ihr Mann, der Psychiater Hans Keilson, der als Jude in Holland (Deckname: Dr. van der Linden) lebte: „Schneider, der nur drei Tage älter als ich ist, war damals der Verfolger, ich der Verfolgte. Trotzdem bin ich dafür, ihm den Doktortitel zu lassen. Er war kein Kriegsverbrecher. Dieses nachträgliche Gerede, ob einer würdig ist oder nicht, einen Titel zu tragen, das sind für mich Nazi-Methoden. Moralische Entrüstung bringt nichts, mich interessiert nur: Wie kam es dazu?“
Weniger gnädig dagegen zeigte sich der Dresdener Soziologe Karl- Siegbert Rehberg: „Schwerte hat die Institutionen, die er vertrat und durch die er geehrt wurde, kompromittiert. Die Selbstreflexion hat er verweigert, ich sehe bei ihm das Beschönigen und Nichts-gewußt-haben-Wollen.“
Der Greis, von dem alle sprachen, war nicht anwesend. Zum einen, weil ihm seine Anwälte wegen der diversen schwebenden Verfahren das Reden verboten hatten, zum anderen, weil ihn die Erlanger Uni vorsichtshalber gar nicht offiziell eingeladen hatte. Über seinen Aachener Kollegen, den Politologen Kurt Lenk, ließ der Mann, der noch nach 1945 über Thomas Mann als NS-Emigrant wetterte, aber ausrichten, er bestreite, nach 1945 eine völlig neue Identität gesucht zu haben. Es sei vielmehr seine Absicht gewesen, sobald wie möglich in seine frühere Identität vor 1933 zurückzukehren. Viele Erlanger Studenten nehmen ihm die Selbststilisierung nicht ab. Auch im Hinblick auf das Echo im Ausland fordern sie wie die Aachener Kommilitonen die Aberkennung des Doktortitels.
Nicht nur Schwerte wechselte nach dem Zweiten Weltkrieg seine Identität. „Es gab rund 100.000 Fälle von Namensänderungen nach 1945. Daß Schwerte so kritisch behandelt wird, liegt darin, daß er nach dem Motto ,einmal Nazi, immer Nazi‘ als trojanisches Pferd der SS in der 68er Bewegung gesehen wird“, meinte der Historiker Bernd Rusinek. Rusinek hatte enthüllt, daß Schwerte noch 1954 ein Fachbuch mit belasteten NS- Germanisten herausgegeben hat und es, „bei Germanistik-Berufungsverfahren in der Bundesrepublik bis 1970 wohl kein einziges Netzwerk ohne ehemalige Nationalsozialisten“ gegeben habe.
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