: Ironisch, nackt und kollektiv
■ Einar Schleef, ganz bei sich zu Haus: Am Samstag hatte endlich seine „Puntila“-Inszenierung am BE Premiere
Eine Fotoprobe wurde nicht angesetzt, ein Programmheft gibt es auch nicht. Aber immerhin fand sie nach langen Probenwochen hinter verschlossenen Türen am Samstag abend endlich statt: die mehrfach verschobene Premiere von Einar Schleefs Brecht-Inszenierung „Puntila und sein Knecht Matti“ im Berliner Ensemble. Intendant Martin Wuttke, der ursprünglich mitspielen sollte, saß im Parkett, während Einar Schleef selbst auf der Bühne stand, und zwar in der Rolle des Puntila. Was zuvor für die größte anzunehmende Fehlbesetzung gehalten wurde, erwies sich als Geniestreich.
Souverän gibt Schleef im Frack neben dem herrischen und nur im Suff menschenfreundlichen Gutsbesitzer gleichzeitig den Spielmeister, der mal einem Zuruf aus dem Publikum beantwortet, mal auf der Wiederholung einer Szene besteht. Ironisch (Schleef!!) quengelnd oder euphorisch skandierend läßt er keinen Zweifel daran, wie er Puntila sieht: als Wurmfortsatz einer Gesellschaft, die zwar schon lange ihre Berechtigung, aber noch nicht ihre Macht verloren hat.
Ihm gegenüber steht überdeutlich das Kollektiv der Mattis, das im Soldatenmantel, in Riesenboxershorts oder ganz nackt seine Kraft beweist — sie aber gegen Puntila nicht einzusetzen vermag. Ein Frauenkollektiv unterstützt indessen die Gutsbesitzerstochter Eva (Jutta Hoffmann) oder stellt das Heer der Bauernmädchen dar, mit denen sich Puntila im Suff verlobt. Als Regisseur ist Schleef ganz bei sich zu Haus: Monumentale Standbilder, Aufmärsche, Dauerläufe wie beim Kasernenhofdrill oder Hetzjagden von Nackten bis zum Erschöpfungstod. Bei fast ausschließlich gebrülltem Text wird — zuweilen unabhängig vom Stück — das Ritualhafte gefeiert und gleichzeitig die Auflösung des Individuums ausgestellt. Die rampennahe Vergewaltigung Evas durch die nackten Mattis verscheuchte einige aus dem Saal. Sie verpaßten, wie Schleef diese Szene später mit einer unendlich sanften Orgie in Saunatüchern kontrastierte. Eine streitbare Inszenierung, die mit fünf Stunden eindeutig zu lang ist, aber halbstundenweise klar überzeugt. Petra Kohse
Heute sowie Mi.-So., 19 Uhr, Berliner Ensemble. Ausführliche Besprechung morgen im überregionalen Kulturteil!
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