: Die erste privatisierte Eisenbahn war ein Bus Von Ralf Sotscheck
Irgendwie ist bei der britischen Eisenbahn der Wurm drin. Da müssen wegen der verblüffenden Anzahl von Irrtümern ständig Ergänzungen zu den Fahrplänen gedruckt werden, da verschwindet ein ganzer Zug im schottischen Schneegestöber und taucht erst nach einer Suchaktion mit Hubschraubern wieder auf, und nun haut es auch mit der Privatisierung nicht hin. Den Auftakt bildeten drei Strecken, die in Privatbesitz übergehen sollten.
„Great Western Trains“ heißt die neue Eigentümerin der Linie von London-Paddington nach Fishguard in Wales. Mit viel Lärm hatte man die „erste private Eisenbahn seit 50 Jahren“ angekündigt. Und dann entpuppte sie sich als Bus. Der hatte obendrein Verspätung. Man hatte die irische Fähre aus Rosslare vergessen, auf die der Bus warten mußte, bis er nach Cardiff losfahren konnte. Von dort ging es mit der Bahn weiter, aber der Spott war der „Great Western“ zu dem Zeitpunkt längst sicher.
Den „South West Trains“ erging es nicht viel besser. Weil man mit vielen „Trainspotters“ – Bahngucker sind in Großbritannien weit verbreitet – rechnete, hängte man ein paar Zusatzwaggons an den ersten Privatzug von Twickenham nach London-Waterloo an. Er war doppelt so lang wie üblich, aber von den Eisenbahnenthusiasten keine Spur: Die Clubs boykottieren die Privatisierung, was dem South-West-Management offenbar niemand gesagt hatte. Auf den 550 Sitzen räkelten sich schließlich neun Passagiere. Zu allem Überfluß war einer davon ein Schwarzfahrer, der erwischt wurde, weil er von der „historischen Fahrt“ nichts ahnte: Am Zielbahnhof wimmelte es von Presse, Bahnpersonal und Ministern. Nun ist er der meistfotografierte Schwarzfahrer aller Zeiten.
Diese Pleite wurde freilich von dem dritten Privatunternehmen in den Schatten gestellt. Das LTS- Bahnmanagement wollte eigentlich die Linie von London über Tilbury nach Southend (LTS) übernehmen. Es sei die mieseste Eisenbahnverbindung in Europa, hatte ein Sprecher des Transportausschusses gerügt. Bei den Passagieren heißt sie „Elendslinie“. Seit 30 Jahren mißlingt es LTS täglich aufs neue, ihre Kunden die läppischen 50 Kilometer von London an die Küste von Essex zu befördern. Mal verspätete sich der Zug um fünf Stunden, mal erhöhte LTS die Fahrpreise versehentlich ins Unermeßliche. Doch einmal, so erinnert sich ein Fahrgast, sei der Zug pünktlich abgefahren. Allerdings von einem anderen Bahnhof. Das hatte man den Passagieren aber verschwiegen.
Wie die Züge, so verspätet sich nun auch die Privatisierung. 20 Mitglieder des LTS-Management wurden wegen Betrugs entlassen. Sie hatten die U-Bahn übers Ohr gehauen. Weil die im Bahnhof Upminster ausgestellten Fahrkarten auch für den dortigen U-Bahn- Anschluß gelten, hätte LTS die Hälfte der Einnahmen an die U-Bahn abführen müssen. Um das zu verhindern, schleppten die Angestellten abends die Kontrollabschnitte säckeweise zum nächsten Bahnhof ohne U-Bahn-Anschluß. Sie hätten es für die Firma getan, damit ihr neues Unternehmen genug Startkapital habe, beteuerten die Angestellten. Ein rührendes Gaunerstück im Zeitalter von Computern. Vielleicht versuchen sie es das nächste Mal mit einem Überfall auf eine Postkutsche.
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