■ Nicht TV-Fälscher, sondern Opfer der Medienökologie. Deshalb die Forderung: Gerechtigkeit für Michael Born!
: Der Mann, der Kisch war

Manchmal legt einem ein älterer Kollege vertraulich die Hand auf die Schulter und schwärmt von der guten alten Zeit, als der Journalismus noch groß und wunderbar war. Und wenn er so richtig wegtrippt in die Nostalgie, wedelt er mit einem Taschenbuch, st 1143, blau, von 1984 und lang schon verramscht, Michael Schwarze, „Weihnachten ohne Fernsehen“.

Am Tag vor Heiligabend 1977, als sich nach Mescalero, Ponto und Schleyer, nach Sympathisantenhetze und dem Sand in den Schuhen von Andreas Baader schon wieder ein bißchen Ruhe übers Land gesenkt hatte, malte FAZ- Redakteur Michael Schwarze eine Apokalypse an die Wand: In einer streng geheimen Konferenz hätten die Anstalten beschlossen, an den Feiertagen nichts zu senden, drei Tage lang: nichts.

Angeblich brach ein ziemlicher Sturm los, das deutsche Volk stand auf gegen eine solche Zumutung, und natürlich beeilte man sich zeitungsseits zu versichern, daß es sich nur um eine Satire gehandelt habe, nicht ernst gemeint, Leute! Aber redeten wir andererseits nicht viel zuwenig miteinander? Sollten wir nicht öfter auf den Aus-Knopf drücken (Fernbedienung gab's damals noch nicht), ein gutes Buch in die Hand nehmen, Weihnachtsgeschenke basteln und dem halbwüchsigen Sohn eins über die Löffel geben, wenn er maulte?

Man wurde sehr, sehr nachdenklich im alten Deutschland damals. Der Herr Bundeskanzler, der sonst auch gern mal den Popper raushängen ließ, empfahl seinen Unterthanen dringend, wenigstens einmal die Woche den Fernseher kalt zu lassen, ein gutes Buch zu basteln, den ungebärdigen Sohn in die Hand zu nehmen etc.

Es muß eine schöne Zeit gewesen sein, als man noch abfällig von der „Kiste aus Glas und Holz“ sprechen konnte. „Wir haben uns daran gewöhnt“, laienpredigte Michael Schwarze damals, „daß die Grenzen zwischen Sein und Schein, zwischen Kunstwelt und Wirklichkeit fließend geworden sind, daß wir Erfahrungen überwiegend nicht mehr machen, sondern zugerichtet geliefert bekommen, daß“ – und jetzt kommt's – „eine Röhre unser Bild von der Welt formt“.

Eine Röhre, meine Fresse! Es hatte schon was sehr Putziges. Früher, ja, früher, waren nicht bloß die Lohnnebenkosten niedriger, da gab man sich nicht mit dem Röhren-Gleichnis zufrieden, da machte man noch alle Erfahrungen selber, zog bang durchs wilde Kurdistan oder tauchte höchstpersönlich hinunter auf 2.316 Meter und holte irgendwelche schwarzen Schachteln herauf. Michael Born war so einer, einer vom alten Schlag. (In der Süddeutschen hat es Michael Bitala schön nacherzählt:) Born fuhr zur See, kam herum in der Welt, lebte zettbee während des Bürgerkriegs in Beirut. Nur von Journalismus, nein, davon verstand er nichts, sagen die TV-Profis. Außerdem, rümpfen die TV- Sekretärinnen die Nase, roch er ein bißchen streng, „weil er immer dieselben Klamotten trägt“.

Mein Gott, was haben die Profis gelacht über Borns Unprofessionalität! Als sie mit Lachen fertig waren, haben sie „richtige“ Filme aus seinen Koffern voll Material geschnitten, sendefähige Bilder. Bilder, wie wir sie nicht sehen wollen, aber unbedingt sehen müssen, weil sie unter die Haut gehen, uns die Augen öffnen für das Schlechte in der Welt: Kinderarbeit, Rauschgift, Rechtsradikalismus, Dritte- Welt-Prostitution, Mafia und als Fleischeinwaage den einen oder anderen Meuchelmord an einer deutschen Hauskatze. Und wenn wir ehrlich sind: So schlecht kann die Welt gar nicht sein, wie sich an Schlechtigkeit versenden ließe.

Dann haben sie den Born gefragt, ob's vielleicht ein bißl mehr sein könnte: noch eine kleine Schweinerei, noch eine geschundene Kreatur, noch ein abber Arm, so Zeug.

Und Michael Born wurde ein kleiner König im Fernsehen, belieferte die alten Kanäle und erst recht die neuen. Er kam vor allem mit „stern tv“ ins Geschäft, mit dem Großbabbel Günther Jauch, der für alle Fälle eine ganze Hundertschaft kleinerer Wichtigmacher hinter sich hat. Jeder einzelne hat den Journalismus quasimasi erfunden, jeder weiß genau, wie man eine Geschichte macht und abfährt.

Alle sind sie so Kisch, daß es kischer nicht mehr geht. Mit schreckgeweiteten Augen (das macht zwar der Teleprompter, sieht aber unheimlich authentisch aus) lesen blonde Ansagerinnen die neuesten Katastrophen vor, und die Redaktion trampelt gleich hinterher. Es wird aufgedeckt, enthüllt, angeklagt und die Welt verbessert, daß es nur so kracht. Der einzige, der gar keine Ahnung von diesem Geschäft hatte, war Michael Born. Fernsehen ist dumm, und das ist auch gut so, aber noch dümmer ist, wer das kritisiert. Man muß schon ziemlich blöd oder Botho Strauß sein, um noch so kindlich ans Fernsehen als moralische Anstalt zu glauben.

Dennoch konnte man die Zeitungen vom bewährten kulturkritischen Reflex aufzucken sehen. Das war Empörungsarbeit wie zu den besten Zeiten der Vollbeschäftigung. Wie rührend sie die Hände über dem Kopf zusammenschlugen über den Fälscher Michael Born! Klar, das war Chefsache von der Süddeutschen bis zur Zeit, daß man an dem U-Häftling ein hochmoralisches Exempel statuierte und den Niedergang des Fernsehens (wo nicht des Abendlandes) bejammerte. Als gäbe es da irgendwas, was niedergehen könnte!

Am ergreifendsten war wieder einmal die Entrüstung, die unser teures Frankfurter Allgemeines Lügenblatt zustande brachte. Michael Hanfeld, der noch kein Chef ist, aber bestimmt noch einer wird, kam auf die grandiose Idee, den cinéma vérité-Autor Michael Born (z. Zt. Koblenz) mit der Brandstiftung in dem Asylbewerberheim in Lübeck zusammenzuspannen: „Die beiden Ortsnamen markieren den Zustand, in dem die aktuelle politische Fernsehberichterstattung sich befindet.“ Wenn man ihn nicht schon im Dezember verhaftet hätte, der Übelbold Born hätte uns aus Lübeck womöglich eine neue Legende vom Gleiwitzer Sender mitgebracht. Gut, daß wenigstens die FAZ aufgepaßt hat!

Einsam sind die Tapferen. Michael Born hat in eigener Regie alles erfüllt, was sich das kritische Bewußtsein von Benjamin/Brechts Radiotheorie bis zu den Springer- Enteignungsphantasien seinerzeit im SDS-Jugendclub erträumt hatte. Er ist auf dem kürzesten Dienstweg in die Institutionen reinmarschiert, hat seine Bänder mit Ku-Klux-Klan-Umtrieben oder Kinderarbeit in Indien auf den Tisch gelegt und ist, gefälscht oder nicht, auch noch gesendet worden. Das böse Medium TV ist keine blöde Röhre mehr, sondern Volkseigentum, Schein & Sein? Alles mein!

Michael Born sitzt immer noch in Untersuchungshaft, aber er ist unschuldig, ein Opfer der bart- und bedenkenträgerischen Medienökologie. Dabei ist er doch ein Held. Ganz auf sich gestellt, hat er das System besiegt – und diente auch noch der Wahrheitsfindung. Wenn einer Kisch ist, dann Michael Born. Und wenn Günther Jauch noch einen Funken Ehre im Leib hat, dann schlägt er ihn fürs Große Bundesverdienstkreuz am Bande vor. Willi Winkler