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CDU-Ostlichter fordern Artenschutz Von Götz Aly

„Ich gehe davon aus, daß es nach den nächsten Wahlen keine große Koalition mehr geben wird.“

Eckhardt Rehberg,

Vorsitzender der CDU-

Landtagsfraktion in Meck-

lenburg-Vorpommern,

taz vom 9. 2. 1996

Im nordostdeutschen Schwerin verlangt die CDU, was man nicht verlangen, sondern bestenfalls besitzen kann – „Identität“. Dabei steht weder die Akzentuierung landsmannschaftlicher Eigenheiten zur Debatte noch etwa ein konsistentes regionalpolitisches Programm, vielmehr geht es um sogenannte Ost-Identität innerhalb der CDU. Gemeint sind die Grenzen der ehemaligen DDR.

So will es der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Schweriner Landtag, Eckhardt Rehberg, so will es dessen Parteifreund Paul Krüger aus Neubrandenburg – jene feierliche Null, die als Bonner „Zukunftsminister“ trotz großzügigen Ostrabatts nicht gehalten werden konnte und die dann (mangels personeller Alternativen) zum unauffälligsten der zahlreichen Stellvertreter Schäubles gekürt werden mußte. Ausgerechnet Krüger beklagt, daß die gut 60 ostdeutschen CDU-Abgeordneten des Bundestages „besser präsentiert werden“ müßten. Paulemann, geh du voran! Nur wie? Bis heute zeigt sich Krügers graue Truppe trotz aller Geduld außerstande, Gesetzesinitiativen auch nur zu formulieren, geschweige denn parlamentarisch und öffentlich zu vertreten.

Während Paul Krüger sich mit gut zwei Seiten locker umbrochener Thesen begnügte, rang sich Eckhardt Rehberg mit seiner „Standortpositionierung“ zum „Identitätsgewinn im Aufbau Ost“ immerhin 34 Blatt ab. Auch wenn sich der Verfasser als „überzeugende Persönlichkeit“ betrachtet, die „komplizierte politische Inhalte und Kommunikationsziele in klaren strukturellen Strängen verständlich transportieren kann“, so fordert die Lektüre seines Werks viel Selbstverleugnung. Gleich zu Anfang behauptet Rehberg, so als habe es weder das Jahrzehnt der Solidarność noch die unbotmäßige Regierung Ungarns gegeben, in eher torkelnder Metaphorik: „Es war die friedliche Revolution 1989 in der DDR, die die Fenster und Türen am Bau des Hauses Europa aufschlug.“ Die rein machtpolitische Vereinnahmung der ostdeutschen Block-CDU feiert unser Autor als gleichberechtigte „Wiedervereinigung zur gesamtdeutschen Union“.

Um die Erörterung historischer Details zu meiden, empfiehlt er anschließend, die Geschichtsschreibung über die DDR-CDU nicht etwa „Außenstehenden“ zu überlassen, sondern selbst aktiv in die Hand zu nehmen.

Wir raten zur Bildung eines Redaktionskollektivs beim Zentralkomitee jener wörtlich so bezeichneten „Ost-Gruppe“, die Rehbergs Mitstreiter Krüger innerhalb der CDU-Bundestagsfraktion etablieren möchte („These“ 1). Der Gruppenzweck besteht im Quoten- und Artenschutz für die versammelten Hinterbänkler aus den neuen Bundesländern. Außerdem geht es den Protagonisten des neuen Ost-Gefühls um Geld. Ungeniert erheben sie ihren bereits tiefverwurzelten Klientelismus, die dazugehörige Subventions- und Selbstbedienungsmentalität zum Programm. Es müsse, so sagt es Rehberg, „anschaulich vermittelt werden, welche Vorteile eine CDU-Mitgliedschaft erbringt“. Wo von Vorteilen die Rede ist, kann das Geißeln einer „Vollkaskomentalität“, das Einfordern von „Opfern“ nicht weit sein. Rehberg bezeichnet das als „Wertediskussion in Mecklenburg-Vorpommern“.

Ein winziger derartiger Vorteil erscheint zur Zeit gefährdet. So sollen die ostdeutschen CDU-Verbände von diesem Jahr an erstmals Beiträge an die Bundespartei – an die Mutter aller Posten und Pöstchen – abführen, doch schon ruft Krüger: Damit sei ein spezieller „Projektfonds“ für die ostdeutschen Kreisverbände zu finanzieren („These“ 11); außerdem will er („These“ 9) für seine verschlafene Ost-Gruppe mehr Fraktionsmitarbeiter in Bonn sowie die „stärkere Berücksichtigung“ bei der Besetzung von Regierungs- und Parteiämtern („These“ 4).

Hoffentlich gelingt ihm das, könnten eingefleischte CDU-Gegner feixen, das Ende der Regierung Kohl wäre gewiß. Ratsamer wäre allerdings, die Westdeutschen, voran die westdeutsche CDU, würden sich der Herausforderung stellen. Denn der Begriff „Demokratie“ wird bei Krüger nicht und bei Rehberg nur einmal erwähnt – in eindeutig negativer Konnotation. Neben der „überflußbetonten Zügellosigkeit“ sieht er die Gefahr der „Ungebundenheit“ und der „selbstbestimmten Demokratie“. Dazu gesellt sich das mehrfach wiederholte Ressentiment gegen den angeblich zu komplizierten Rechtsstaat. In dieses Bild fügen sich dann spezielle Reformwünsche des Schweriner CDU-Matadors: „Bereits im Vorfeld der Kandidatenaufstellung müßte“, so fordert er, „eine geeignete Form gefunden werden, die fachlichen Qualitäten sowie die politischen Vorstellungen und Ziele der Bewerber zu prüfen.“ Die Kaderleitung läßt grüßen – ganz offensichtlich schreibt hier kein demokratisch gesinnter Parlamentarier, sondern ein autokratisch vorgeprägter Funktionär, der sein politisches Handwerk im Schlagschatten der SED gelernt hat. Dementsprechend soll die Examinierung der Bewerber nicht etwa in freier Rede und Gegenrede in den Versammlungen der Partei stattfinden und über die Kandidatur in geheimer Wahl abgestimmt werden. Vielmehr könnte sie nach Rehberg „von einer unabhängigen Bewertungsgruppe“ vorgenommen werden. Wäre dieses exklusive – vom Grund- wie vom Parteiengesetz zweifelsfrei verbotene – Gremium erst einmal installiert, könnte es auch gelegentlich „einer gewünschten Wiederwahl“ in Aktion treten. Zu prüfen wäre im Sinne der neuen Ost-Identität dann, so heißt es in Rehbergs Papier weiter: „Was hat der Mandatsträger in seiner Amtszeit geleistet? Anzahl der Sprechstunden und Beratungen, auf welchen Gebieten hat er sich spezialisiert, mit welchem Erfolg?“

Solche Passagen offenbaren das tatsächliche Problem der West- CDU mit ihrem mecklenburgischen Landesverband. Hier führen die alten Repräsentanten des SED-Anhängsels Block-CDU das große Wort; sie sind in der Lage, Subventionen zu verschieben, sie versickern zu lassen und „mehr“ zu verlangen. Diese Ex-Blockflöten ließen sich schon in der DDR komfortabel an der Macht beteiligen, ohne Verantwortung zu tragen, ohne für irgend etwas geradezustehen. Sie rufen nach Reform und meinen die Pfründen. Sie drohen mit der PDS, der sie zum Verwechseln ähnlich sehen.

Dieser Landesverband der CDU wird sich nur in der Opposition zur demokratischen, für jüngere Leute attraktiven Partei entwickeln. Das setzt die Bildung einer SPD/PDS-Regierung voraus. Darin liegt angesichts der konkreten Verhältnisse in der Schweriner CDU keine Gefahr, sondern ein Vorteil. Denn dann stünde die politische Auseinandersetzung mit den Vertretern des Originals auf der Tagesordnung statt des eher sozialtherapeutisch-nachsichtigen Getuschels um die geistig verschwiemelten, in der CDU untergekrochenen Mitläufer der SED.

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