piwik no script img

Ein Meister des Exodus aus Konventionen

■ Mit Don Byron kehrt die politische Selbstverständlichkeit im Jazz zurück

In der Musik gilt die Sprache der Versöhnung längst mehr als in der Gesellschaft, und sie trägt einen einfachen Namen: Selbstverständlichkeit. Daß Schwarze und weiße Musiker zusammen auftreten, Bands indische und us-amerikanische Stilmittel zusammenführen oder Japaner sich an europäischem Musikgut vergreifen, all dies ist inzwischen eine derartige Normalität, daß es kaum noch jemand bemerkt. Und dennoch wird hier die Geschichte von vielen Tabubrüchen und Grenzüberschreitungen vergessen. Denn die Bedingungen waren einmal so, daß auf dem Titelbild des Rolling Stone kein schwarzer Musiker auftauchen durfte, daß MTV ursprünglich ein Blacks-Off-Rocksender war, oder aber, daß jede Community sich sorgfältig von der Musik „anderer“ Klassen abgrenzte. Ein Schwarzer spielte keinen Rock, eine Weißer mied das Crooning, Stilrichtungen ließen sich mit Hautfarben verbinden.

Der Jazz hat hier viel gekämpft und erreicht, aber an einem Mann wie Don Byron sieht man doch noch einmal, daß radikale Selbstverständlichkeit noch immer nicht auf grenzenlose Toleranz stößt. Denn der geniale Klarinettist begann mit der Klezmer Conservatory Band berühmt zu werden, als der Streit zwischen der jüdischen und der schwarzen Gemeinde schwelte, der später in Straßenschlachten, Attacken und gegenseitigen Verleumdnungen endete (Stichwort: Louis Farrakhan).

Doch Byron sind derartige Verbunkerungen fremd, und in seiner Szene, der intellektuellen New Yorker Avantgarde- und Noise-Jazz-Bunch zwischen John Zorn und Bill Laswell, Knitting Factory und Arto Lindsay, ist Integrität das Rätsel, durch das man sich die Welt nicht verschließt. Byron ist hier ein besonderer Meister des Exodus aus den konventionellen Fesseln. Er scheut sich weder bei einer Rock-noch bei einer BeBop-Band mitzuspielen, Freestyle oder Dancefloor auszukosten, Klezmer oder Eric Dolphy als seine Einflüsse offenzulegen. Mit seiner eigenen Band Tuskegee Experiment, der Name eines heimlichen medizinischen Versuchsexperiments an Schwarzen in den Siebzigern, tritt Byron nun auch bravourös als Leader hervor. Till Briegleb

Di, 21 Uhr, Fabrik

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen