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Strahlenwolke setzte Polens AKW-Plänen ein Ende

■ Opposition gestärkt. Experten ließen AKW-Bau im Sicherheitstest durchfallen

Warschau (taz) – Die in der Sonne glitzernden Schneehauben mildern den gespenstischen Anblick der größten Bau- und Investitionsruine Polens. Im Norden des Landes, in Żarnowiec bei Danzig, steht ein Atomkraftwerk ohne Kuppel und Schornstein. Der ehemalige Bauplatz am Ostufer des Sees erstreckt sich über 200 Hektar. Auf weiteren 225 Hektar stehen Wohnblocks für die künftigen Arbeiter, Lagerhallen, ein kleines Gewerbegebiet. Das einzige Unternehmen, das nach dem Baustopp des Atomkraftwerks nach Żarnowiec kam, ist eine Konservenfabrik.

Aus dem verschlafenen Dorf mit seinen einst 710 Einwohnern sollte eine Atomstadt werden. Hochglanzprospekte versprachen noch Mitte der 80er Jahre eine Zukunftsvision 2000, in der neben dem Atommeiler am See braungebrannte Bauern das Getreide ernteten, Arbeiter in blauen Monteursanzügen an irgendwelchen Schräubchen drehten und junge Frauen ihre Einkäufe nach Hause trugen. 50.000 Menschen sollten hier leben. Heute wohnen in dem Dorf 6.017 Einwohner. Die meisten arbeiten im Wasserkraftwerk oder in der Fischfabrik. Gut 20 Prozent sind arbeitslos.

Der Schock von Tschernobyl sitzt tief. Das Atomkraftwerk in Żarnowiec hatte nach denselben Bauplänen entstehen sollen. „Für eure Sicherheit ist uns nichts zu teuer“, hatten polnische Politiker den Einwohnern weißgemacht. „Die Wahrscheinlichkeit, von einem Meteor getroffen zu werden, ist höher, als einen Supergau zu erleben.“ Und dann, im April 1986, fiel plötzlich das polnische Radio aus: Eine Woche lang blieben die Polen im Ungewissen über das Reaktorunglück in der Ukraine. Duschen solle man, hieß es irgendwann lakonisch, und Jodtabletten schlucken. Über BBC und Radio Freies Europa erfuhren die Polen, daß eine riesige Atomwolke über ihr Land zog. Mit einem Schlag wurde ihnen klar, daß sie selbst im Norden des Landes ein „Żarnobyl“ bauten. Immer mehr schlossen sich den bis dahin völlig unbedeutenden Protestaktionen der Umweltschützer an.

Die kommunistische Regierung unter General Jaruzelski berief einen „Atomrat“ ein. Umweltschutz wurde plötzlich zum großen Thema. Die Gewerkschaft Solidarność nahm die ökologischen Clubs unter ihre Fittiche, so daß unabhängige Wissenschaftler ein Forum bekamen. Die Folge: auch die Regierungsexperten schwenkten um und forderten nun den Baustopp des AKW.

Die Gutachten berücksichtigten erstmals internationale Sicherheitsstandards: Żarnowiec fiel glatt durch. Es erreichte keinen einzigen der 30 Mindeststandards. Die Verantwortung dafür, die größte Energieinvestition Polens in den Sand gesetzt zu haben, wollten die Politiker aber nicht übernehmen. In der Volksabstimmung Ende Mai 1990 forderten 86 Prozent der Wähler in der Wojewodschaft Danzig den Baustopp. Seitdem sucht die Gemeinde Żarnowiec nach einem neuen Investor.

„Möglicherweise“, so der Gemeindesekretär Mariusz Mówka, „tut sich bald etwas. Ein US-Konzern will eine Milliarde Dollar in ein Gas-Elektrizitätswerk investieren. Das wäre für die Gegend hier ein Segen. Das Gas hätten wir sogar.“ Mówka hält kurz inne, seufzt und gesteht, daß es doch noch ein Problem gibt: „Eigentlich braucht Polen keinen zusätzlichen Strom mehr.“ Gabriele Lesser

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