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Chronisches Müdigkeitssyndrom

■ betr.: „Die nicht anerkannte Krankheit“, taz vom 12. 2. 96

Als Spätfolge einer Infektion durch den Erreger der Lyme-Borreliose erkrankte auch ich am Chronischen Müdigkeitssyndrom (CFS). Deshalb kann ich die Ausführungen Rudolf Langers in seinem Artikel weitgehend bestätigen, soweit die für das öffentliche Gesundheitswesen zuständigen Institutionen diese Krankheit bisher noch nicht anerkennen. Jedoch muß bei aller Betroffenheit über diese Tatsache die Äußerung, daß es sich bei dem Verhalten dieser Institutionen um eine „moderne Form der Euthanasie“ handele, entschieden zurückgewiesen werden.

Unter dem Deckmantel der sogenannten Euthanasie als Sterbehilfe für „unheilbar“ Kranke wurden im Dritten Reich im Rahmen der Aktion T 4 seit dem 1. September 1939 psychisch (also keineswegs „unheilbar“) kranke Personen in Heil- und Pflegeeinrichtungen ausgesondert, in Tötungsanstalten verbracht und dort mit Gas oder Injektionen umgebracht. Etwa 70.000 bis 90.000 Menschen wurden bis zum Kriegsende Opfer dieser Tötungsaktionen. Die amerikanische Anklagebehörde im Nürnberger Ärzteprozeß ging sogar von 275.000 Opfern aus. Diese staatlich organisierten und durchgeführten Tötungsaktionen stellten die Vorstufe der sogenannten Endlösung der Judenfrage dar. Auf diesem historischen Hintergrund bleibt der Vorsitzenden dieser Selbsthilfegruppe nur dringend anzuraten, derartige Äußerungen künftig zu unterlassen. Ansonsten wird sie nicht damit rechnen dürfen, daß ihre berechtigten Belange in der Öffentlichkeit ernst genommen werden. Michael Heinatz, Berlin

Leider enthält der Artikel viel Spekulatives und eine Anzahl fragwürdiger Behauptungen. Dafür fehlen für (vermutlich) CFS- Kranke wichtige Informationen. Bei sorgfältiger Recherche wäre dem Autor sicher aufgefallen, daß

– es seit Nov. 1993 eine Expertenarbeitsgruppe zum CFS, beratend tätig für das Gesundheitsministerium gibt, die sich mit dem Krankheitsbild beschäftigt und im Deutschen Ärzteblatt (Nr. 43; 1994) publiziert hat.

– die Sprecherin der Selbsthilfegruppe CFS/CFIDS Bonn berufenes Mitglied dieser Arbeitsgruppe ist, die Ihnen wie schon vielen anderen JournalistInnen gerne zum Krankheitsbild und zur schwierigen Situation der Erkrankten Auskunft gegeben hätte.

– es im Nov. 1995 den ersten Weltkongreß zum CFS in Brüssel gab.

– der Verband der Angestellten Krankenkassen e.V. (vdak)/AEV- Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. gerade vor ein paar Wochen eine Veröffentlichung der genannten Arbeitsgruppe herausgegeben hat. Dieser „Leitfaden für Betroffene“ ist Ausdruck einer weitgehenden Akzeptanz der Erkrankung.

Leider ist Ihrem Artikel nicht zu entnehmen, was CFS überhaupt ist. Es findet sich kein Hinweis darauf, daß die Ursache/Auslöser des CFS nicht bekannt sind und daß zur Zeit kein beweisender Test für CFS existiert. Es fehlen außerdem Hinweise, daß es in inzwischen einigen Städten (wenn auch immer noch zu wenige) Anlaufstellen und Projekte für CFS-Kranke existieren, die an Universitäten angesiedelt sind. Es fehlt der Hinweis auf die regional eigenständigen Selbsthilfegruppen, Initiativen und Kontaktpersonen, die über uns in Deutschland, Österreich und der Schweiz vernetzt werden.

Ohne auf den skizzierten Einzelfall einzugehen, ist anzumerken, daß ein Zeckenbiß eine Lyme- Borreliose auslösen kann. Auch bei dieser Erkrankung sind Betroffene häufig – wie beim CFS – auf der Suche nach einem kompetenten Arzt. Die Borreliose ist ein eigenständiges Krankheitsbild und schließt die Diagnose CFS aus.

Unter welchen Voraussetzungen Krankenkassen die Kosten einer „Immuntherapie“ übernehmen (was das ist, könnte auf einer Wissenschaftsseite durchaus erklärt werden), hätte dort erfragt werden können.

Die CFS-Selbsthilfegruppen in Berlin und Bonn setzen bei diesem komplexen und noch wenig erforschten Krankheitsbild auf seriöse Aufkärung. Wem nützen Panikmache, Unterstellungen und Verfolgungsszenarien? Den Erkrankten sicherlich nicht! Selbsthilfegruppen CFS

Berlin/Brandenburg c/o Petra Dönselmann im Sande, Bahnhofstraße 43, 12305 Berlin, Tel.: 030-7443266,

Bonn c/o Elke Uhlisch, Lübener Weg 3, 53119 Bonn, Tel.: 0228-660233

Gegen frankierten Rückumschlag sind weitere Informationen zu erhalten

Ich weiß seit ein paar Monaten, daß ich vor sechs Jahren nach einer Hepatitis an CFS erkrankt bin. Ich mußte meinen Beruf aufgeben und habe die beschriebene „Ärzte- Karriere“ hinter mir und den Versuch von Diagnose und Behandlung vor mir. Wenn jemand wissen möchte, wie man sich als CFS- Kranker fühlt, kann er es in dem Buch von Renate Dorresstein „Heute ich, morgen du“ (Hildesheim 1995) sehr eindrücklich nachlesen. [...] Ingrid Kiehl-Krau, Braunfels

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