: Es bleibt immer nur das Öl
In Milford Haven ist auch ohne Tankerkatastrophe etwas faul: Der größte Ölhafen Großbritanniens liegt mitten in einem Naturpark ■ Aus Milford Haven Dominic Johnson
Normalerweise kümmert sich Roy Mathias um die Art Müll, die in der Landwirtschaft so anfällt: Gülle, Kalkablagerungen, Schmutz aus Molkereien. Diesmal hat der Angestellte der Entsorgungsfirma Pembrokeshire Environmental einen anderen Job. Vom Strand West Angle Bay im Südwesten von Wales saugt er seit einer Woche das Öl ab, das aus dem leckgeschlagenen Tanker Sea Empress herausfließt. „Heute haben wir 50.000 Liter geschafft“, sagt Mathias stolz, während er in der Abenddämmerung mit seinen zwei Kollegen Pumpen in Saugleitungen einpaßt. Aber beendet ist seine Aufgabe noch lange nicht. „Es hängt von den Ölteppichen ab“, erklärt der Waliser. „Jetzt kommt mit der Flut ja schon der nächste.“
Dabei ist die Ölpest im Südwesten von Wales nach offizieller Darstellung so gut wie vorbei, seit die Sea Empress in der Nacht zum Donnerstag vom Meer in die Flußmündung von Milford Haven hineingeschleppt und verankert wurde. „Ein bißchen Öl ist wegen eines Rohrbruchs aus dem Maschinenraum gelaufen, und es tropft auch was aus einem Spalt an der Seite“, wiegelte Chris Harris, Leiter der Küstenwache, Bedenken ab. Aber Augenzeugen, die das Schiff besichtigen durften, sahen aus dem Spalt viel mehr als nur ein paar Tropfen entweichen, und Roy Mathias in West Angle Bay auch.
Die einst idyllische Bucht ähnelt inzwischen einem Fabrikgelände. Wo sonst der Strand liegt, erstreckt sich eine asphaltartige Weite. Die Felsen drumherum sind bis in mehrere Meter Höhe eingeschwärzt. In einem Abfalleimer ruht eine stinkende Brühe. „Es ist ziemlich dreckig“, sagt Roy Mathias trocken. „Aber was soll man machen. Es gibt ja hier sonst keine Arbeit.“
Milford Haven ist der größte Ölhafen Großbritanniens. Wer in der Gegend herumspaziert, kann sich fast überall an einer der drei Ölraffinerien orientieren, die in der grünen Landschaft am Horizont auftauchen. Der Hafen liegt mitten im Naturpark. 7.400 Schiffe docken hier jedes Jahr – aber der Ort selbst ist so abgelegen, daß sogar die nächste Verkehrsampel 60 Kilometer entfernt ist. 33 Millionen Tonnen Öl werden hier jährlich abgefertigt, die Raffinerien mit ihren örtlichen Vertragspartnern beschäftigen 4.000 Menschen – aber die Stadt mit nur 14.000 Einwohnern hat eine Arbeitslosigkeit von 27 Prozent. Etwas ist faul in Milford Haven, auch ohne Umweltkatastrophen.
Der Traum von der neuen Industriemetropole
„Früher lebte die Gegend von Fischerei, Landwirtschaft und Tourismus“, sagte Basil Woodruss, liberales Mitglied im Distriktrat. „Dann kam die Ölindustrie und mit ihr die Bauwirtschaft, und sie zahlten so hohe Gehälter, daß Fischer und Farmer nicht mithalten konnten und in den Ruin getrieben wurden.“ Woodruss hat den Niedergang von Milford Haven mit angesehen. Landwirtschaft gibt es kaum noch, und nur noch 60 Fischer. Und dem Tourismus fehlen Attraktionen und Infrastruktur. Bleibt das Öl – und auch das hat seine Versprechen nicht gehalten.
In den 50er Jahren, als das damals noch aus dem Nahen Osten importierte Erdöl die britische Kohle zu verdrängen begann und die Ölkonzerne nach einem geeigneten Tiefseehafen suchten, schwärmten Planer noch von einer neuen Industriemetropole in Milford Haven. „In diesem geschützten Hafen können Tanker von über 100.000 Tonnen Kapazität bei Flut oder Ebbe sicher manövriert werden“, jubelte die Ölfirma Esso und stellte 1960 die erste Raffinerie neben das Fischerdorf, obwohl der Naturpark an der umliegenden Küste bereits 1952 gegründet worden war. Ein Jahr später folgte British Petroleum, 1964 Texaco, 1968 Gulf und 1983 Amoco.
Damit war aber der Boom auch schon zu Ende. Mit der Entdeckung von Erdöl in der Nordsee fand sich Milford Haven auf der falschen Seite Großbritanniens wieder. Esso schloß seine Raffinerie 1983, British Petroleum zwei Jahre später. Amoco verkaufte an Elf. So sind nur drei Raffinerien übrig, und Lokalpolitiker befürchten, daß zwei davon bald ebenfalls dichtmachen könnten.
Die örtliche Wirtschaft, völlig auf Entscheidungen von außen und auf den Investitionsfluß der Ölmultis ausgerichtet, hat jede Eigeninitiative verloren. „Irgendwann“, so Basil Woodruss, „werden die Leute merken, daß die Ölindustrie das schlimmste war, was ihnen passieren konnte.“
In einem Plandokument „Milford 2000“ beschloß die Stadt zwar vor sechs Jahren allerlei Modernisierungsprojekte. Was bisher realisiert wurde, ist jedoch reine Kosmetik: Die Hauptstraße hat einen neuen Bürgersteig, neue Wegweiser für Touristen, einen Golfplatz und bald einen Supermarkt.
Zielpublikum für solche Spielereien sind offenbar die Beschäftigten der Ölindustrie, die eine Art Arbeiteraristokratie darstellen. Ihr Grundgehalt von 24.000 Pfund jährlich (4.600 Mark im Monat) ist doppelt so hoch wie der durchschnittliche britische Bruttolohn. Nach wie vor ist das Öl und sein schillernder Reichtum Maßstab aller Dinge. Basil Woodruss bilanziert: „Steuern, Hotels, Lieferanten – alle hängen am Öl.“
Die Natur kommt an zweiter Stelle. Lokalpolitiker wie Gewerkschaftler befürworten den Plan der britischen Elektrizitätswerke für ein neues Kraftwerk in der Gegend, das ein per Tanker aus Venezuela zu importierendes Öl-WasserGemisch verbrennen würde – ein Antrag für den Bau eines Windkraftwerkes wurde dagegen vor wenigen Wochen abgelehnt.
Die Hafenverwaltung blockt seit längerem ein Begehren der walisischen Landschaftsschutzbehörde an die Regierung ab, die Küstengegend nahe Milford Haven zu einem Naturschutzgebiet nach EU-Standard zu erklären. „Das wäre nicht kompatibel mit den kommerziellen Hafenaktivitäten“, erklärt Phil Rothwell vom britischen Vogelschutzbund. „Denn mit einem solchen Status müßte die Gegend eine mit der Landschaftsschutzbehörde abgestimmte Verwaltung bekommen, und die Öffentlichkeit bekäme das Recht, die Abwicklung der Öltransporte mitzubestimmen.“
Das wäre revolutionär. Wie der World Wide Fund for Nature in einem demnächst erscheinenden Bericht darlegt, sind der Öffentlichkeit bisher nicht einmal Informationen über die genauen Routen der Öltanker vor Einfahrt in den Hafen zugänglich. Jedes Jahr kommt es, so ein Umweltbericht von 1992, zu durchschnittlich 39 Öllecks im Hafen, wobei routinemäßig mehrere hundert Tonnen verlorengehen.
Im Hafen laufen pro Jahr Hunderte Tonnen Öl aus
Nach Angaben des britischen Tierschutzvereins sterben jedes Jahr in Wales Tausende von Vögeln an Ölverschmutzung, weil Tanker auf dem Meer Verunreinigungen ablassen. Aber eine Diskussion über solche Probleme gibt es nicht. Unmut in Milford Haven bereiten dagegen andere, nicht weniger beunruhigende Entwicklungen: Die Gesamtbesatzung der Schlepperboote im Hafen wurde seit 1993 von 106 auf 28 Mann verringert – ein möglicher Grund für die langsame Reaktion auf die Havarie der Sea Empress.
Wie ungleich der Kampf zwischen Ölindustrie und Naturschützern abläuft, zeigen die Aufräumarbeiten nach der Ölpest. Die Firma Pembrokshire Environmental in West Angle Bay arbeitet im Auftrag des US-Ölmultis Texaco, für den die Fracht der Sea Empress bestimmt war. Der verschmutzte Strand liegt nur wenige Kilometer von der Texaco-Raffinerie entfernt. Hier wird emsig gesäubert. Wo aber nur Naturschützer ein Interesse am Aufräumen haben, ist bisher weniger los.
Auf den vogelreichen Inseln Skomer und Skokholm, die von der kleinen freiwilligen Organisation Byfed Wildlife Trust verwaltet werden und wo bereits erhebliche Verschmutzung eingetreten ist, sind die Aussichten dramatisch. „Als Inselverwalter sind wir für die Sauberkeit zuständig“, erklärt Judith Phillips vom Byfed Wildlife Trust, „aber das übersteigt unsere Mittel. Die Probleme auf Skomer sind immens: Es gibt keine Telefonleitung, keinen Strom, kein fließend Wasser. Also brauchen wir Geld für Generatoren, und wir müssen Wasser in Tanks einfliegen. Aber wir haben keinen Hubschrauber. Und die Küste besteht fast nur aus senkrechten Felsen.“
Die Regierung fühlt sich jedoch nicht dafür zuständig, die Rettung der von der Ölpest betroffenen Umwelt zu finanzieren. Sie hat bisher lediglich eine viertel Million Pfund zur Untersuchung der Schäden bereitgestellt. In Regierungsaugen ist die Ölpest eine private Katastrophe, um deren Auswirkungen sich die Grundeigentümer zu kümmern haben. Schon die Rettungsarbeiten für den Tanker wurden dadurch in die Länge gezogen, daß Privatunternehmer mit eigenen Schlepperbooten miteinander rivalisierten, statt zusammenzuarbeiten. „Da sieht man, wie dieses Land heruntergewirtschaftet worden ist“, sagt ein Bewohner des Dorfes Dale, nahe dem Unfallort, fassungslos über die vielen Fehler und Versäumnisse. „Es ist eine nationale Schande.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen