Der Overkill der Krebsnachsorge

„Abwarten und nichts machen paßt einfach nicht ins Konzept der Ärzte“, erkennt der Nürnberger Krebsspezialist Walter Gallmeier. Und weil das so ist, wird der Krebspatient in Deutschland nach überstandener Operation fürsorglich belagert. Es wird ständig mit Tumormarkern nach neuen Geschwülsten gefahndet, es wird geröntgt, mit Ultraschall untersucht, es werden Knochen- Szintigramme veranlaßt, das ganze Apparate-Arsenal wird in Stellung gebracht. Bis zu 50 Nachsorgeuntersuchungen in fünf Jahren sind keine Seltenheit. Aber immer mehr Ärzte fragen sich, was dieser Aufwand eigentlich bringt.

Vehement kämpfen Gallmeier, sein Münchner Kollege Helmut Sauer und der Kölner Professor Volker Diehl für eine Wende im Nachsorge-Konzept. Ihre Argumentation: Mit ständigen Untersuchungen an sich gesund fühlenden Menschen werden diese zu Risikopatienten gemacht. Jede kleine Veränderung der Tumormarker erzeuge neue Angst, ohne daß therapeutische Konsequenzen gezogen werden können. Der Patient brauche nicht den vierteljährlichen TÜV-Stempel aus dem ärztlichen Apparate- Park, sondern eine psychologisch-menschliche Betreuung.

Sauer hatte einschlägige Untersuchungen mitgebracht. Vergleiche man Krebspatienten die apparativ umfänglich nachgesorgt wurden, mit jenen, bei denen auf aufwendige Folgeuntersuchungen verzichtet wurde, zeige sich kein Unterschied in der Überlebenszeit. Den Einwand „der Patient will das aber“ ließ Sauer nicht gelten: Die weitgehend in Ruhe gelassenen Patienten hätten sich keinesfalls unzufrieden gezeigt und sogar eine höhere Lebensqualität gehabt. Die frühe Erkennung von Folgemetastasen habe den apparativ Nachgesorgten keinerlei Überlebensvorteile gebracht, wohl aber die Zeit unbeschwerten Lebens verkürzt.

Als sinnvolle Nachsorgeuntersuchung ließ Sauer allein die Mammographie bei Brustkrebspatientinnen und regelmäßige praxisübliche Checks sowie betreuende Gespräche gelten. „Wir sollen die Betroffenen sehen, sie befragen und betreuen, ihnen zur Hand gehen, wenn sie Hilfe brauchen, aber nicht jedesmal fünf Scheine ausfüllen für Untersuchungen.“

Gallmeier ist überzeugt, daß die TÜV-Mentalität nur durch ein anderes Menschenbild zu korrigieren ist, das sich vom Idealzustand des jungen, schönen, schmerzfreien und alterslosen Menschen verabschiedet. Er forderte eine ehrlichere Medizin, die zugleich auch die billigere ist. „Wir müssen uns endlich trauen, einen Menschen für gesund zu erklären, wenn er keine Symptome hat.“ Und: „Die ständige unbarmherzige Dokumentation einer fortschreitenden Erkrankung macht niemanden glücklich.“ Manfred Kriener