: „Mit dem deutschen Paß kann ich frei leben“
■ Interview mit dem jungen Kurden Ibrahim zu den Motiven, Deutscher zu werden
taz: Ibrahim, Deutschen wird nachgesagt, sie seien fleißig, strebsam, ordnungsliebend. So einer willst du werden?
Ibrahim: Ich will die deutsche Staatsangehörigkeit haben, aber nicht leben wie die Deutschen. Ich brauche den deutschen Paß, weil ich eine Lehrstelle bekommen möchte. Als Türke habe ich doch kaum eine Chance, Tischler zu lernen, bei Ausbildungsplätzen werden Deutsche bevorzugt.
Außerdem kann ich einfacher in andere Länder reisen, ohne erst vorher ein Visum zu beantragen.
Mehr bedeutet deutsch werden nicht für dich?
Na ja, wenn ich mal wieder Streß mit den Bullen kriege, dann muß meine Mutter keine Angst mehr haben, daß sie mich einbuchten, ich komme dann auch schneller an eine Wohnung ran.
Hast du deutsche Freunde?
Einen, der tanzt mit mir in der HipHop-Gruppe. Aber ich war noch nie in einer Klasse, wo auch nur ein einziger Deutscher gewesen wäre. Ich kenne nur Klassen mit Ausländerkindern.
Sprecht ihr im Unterricht darüber, daß diejenigen, die hier geboren wurden, mit 16 Jahren einen Anspruch auf deutsche Staatsbürgerschaft haben?
Nee, so etwas kommt an unserer Schule nicht vor. Keiner sagt, wie wir Deutsche werden können.
Was sagen deine Eltern dazu, daß du Deutscher werden willst?
„Mach es, dann hast du es besser als wir.“ Sie sind zu alt, um das alles zu beantragen.
Glaubst du, daß mit dem Paß die Diskriminierung aufhört?
Es ist eine Chance, die will ich nutzen. Mein Aussehen kann ich nicht ändern. Manchmal sagen Leute zu mir „Ausländer raus, du stinkst“. Das werde ich noch öfter hören, auch mit deutschem Paß. Eigentlich reagiere ich auf die Anmache ganz ruhig. Nur wenn einer meine Familie, meine Mutter beleidigt, schlage ich zu. So werde ich mich auch als Deutscher wehren.
Wie begrüßen dich die Leute, wenn du in die Türkei fährst?
Ah, da kommt das Muttersöhnchen aus Deutschland. Die finden, wir sind alle verzogen und zu weich. Die lachen über mich, weil ich kein richtiges Türkisch kann. Da halte ich es nicht lange aus. Wenn ich dann in Tegel aus dem Flugzeug steige, denke ich, jetzt bin ich wieder zu Hause. In Kreuzberg zu sein ist ein gutes Gefühl.
Würdest du dir einen deutschen Vornamen zulegen?
Auf keinen Fall!
Aber der Paß soll einen „neuen Menschen“ aus dir machen?
Ja, dann kann ich alles, dann kann ich frei leben. Jetzt fühle ich mich als Türke, als Kurde. Und mit dem Paß werde ich zuerst ein Kurde sein, dann Türke, dann Deutscher. Mit dem deutschen Paß regle ich meinen Alltag. Interview: Annette Rogalla
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