piwik no script img

Treff der Wendegeknickten

Die erste Verkaufs- und Kontaktbörse der Ostmusik ging am Wochenende in Berlin über die Bühne  ■ Von Gunnar Leue

Am Wochenende hob der Osten sein Haupt. Hansa Rostock verpaßte Meister Dortmund zu Hause eine Schlappe (worauf im bombenbedrohten ran-Studio gleich die Lichter ausgingen). Derweil bewies der Ostrock am Fuße des Berliner Fernsehturms Renitenz gegen die Gleichgültigkeit der Wessis. Wo in der Vergangenheit bereits Ostprodukte aus Landwirtschaft und Industrie in Verkaufsausstellungen aus dem fahlen Licht der marktwirtschaftlichen Nichtbeachtung geholt wurden, präsentiert sich diesmal die „Musik aus dem Osten“ drei Tage lang. Nach dem Fressen die Kultur.

Der ging es nach der Wende nämlich nicht besser als der sonstigen Warenwelt. War doch auch in der Popmusik auf einmal alles zum Ostscheiß degradiert, was zuvor sogar noch Goldene Schallplatten im Westen einstreichen konnte, wie es Karat als einziger DDR- Band immerhin gelang. Doch mit der Ignoranz des Publikums ist's lange vorbei. Unter dem von Medien schnell entdeckten Banner der Ostalgie versammelten sich Heerscharen von OstkünstlerInnen und stürmten zwar nicht die Charts, aber doch zurück in die Herzen vieler Ex-DDRlerInnen.

Man kann wohl sagen die Zeit für eine Leistungsschau der verbliebenen Ostmusik war reif. Was freilich zuerst einem Westler auffiel. „Entweder waren die Ostdeutschen befangen, oder sie haben sich verkauft“, erklärt sich der West-Berliner Norbert Rahmlow diese Tatsache und organisierte das Ostlertreffen. Der 42jährige ist ein langjähriger Freund des DDR- Kulturgutes und im Osten mittlerweile Besitzer mehrerer Plattenläden, die sich auf alte DDR-Schallplatten spezialisiert haben. In dem Job hätte er einfach gemerkt, daß eine „immense Nachfrage nach Rock und Pop aus dem Osten“ bestehen würde. Weil die auch von der BMG Amiga Marketing, der Nachlaßverwalterin des einstigen DDR-Poplabels Amiga inzwischen erkannt worden ist, fanden beide Seiten zunächst zueinander. Streitigkeiten um die Finanzierung beendeten die Kooperation jedoch letztlich wieder, so daß der Individualist die Organisation inklusive des finanziellen Risikos am Ende allein übernahm. Gut möglich, daß eine richtig schillernde Ostrockschau im Sommer doch noch über die Bühne geht, mit Großkonzerten und pompöser Award-Verleihung.

Solcher Schnickschnack fiel am Wochenende aus, was manche/r BesucherIn vielleicht bedauert und deshalb das Logo der ersten Verkaufs- und Kontaktbörse – ein rockendes Sandmännchen im DDR-Wappenkranz – als Hinweis auf eine etwas müde Veranstaltung gedeutet haben mag. Dabei scheint es wohl eher als Symbol der Hoffnung gedacht, daß der DDR- Rock genauso wie der legendäre Abendgrüßer des DDR-Kinderfernsehen doch noch den Sprung ins vereinte Deutschland schaffen möge.

Die sich hier anbietenden HelferInnen können diese Hoffnung allerdings nur bedingt nähren. Durch die Bank präsentieren sich nur kleine Labels wie Buschfunk aus dem Prenzlauer Berg. Zu den Ausstellern gehört außerdem ein T-Shirt-Laden, der unter anderem Textil mit dem Aufdruck „FDJ-Jugendtanz“ feilbietet. Was auf eben jenem FDJ-Jugendtanz trotz Auflage selten gespielt wird, ist in diesen Tagen plötzlich sehr begehrt, wie der Andrang bei der Second- hand-Börse beweist. Während die reihenweise in den Kisten stehenden neuwertigen Amiga-Lizenzplatten von Weststars wie T. Rex (in der DDR stets Bückware) trotz Niedrigstpreisen verschmäht werden, finden einstige Ladenhüter des DDRock für bis zu zwanzig Mark KäuferInnen. Und die Rubrik „Brüderländer“, in der Polen unter anderem von seinen Roten Gitarren repräsentiert wird, erinnert daran, daß hier der Osten nicht nur als Ex-DDR eine Rolle spielt. Sogar frühe Gesänge der bulgarisch-orthodoxen Kirche sind im Angebot. Doch die interessieren nun wirklich keine Sau.

Die Leute wollen ihre einheimischen Exstars wiedersehen und -hören. Daß die Veranstaltung jedoch nicht zum Spät-Woodstock des Ostrocks wird – Kommentar eines Besuchers vor der leeren Bühne: „Is' wirklich wie zu Ostzeiten, stehn 'ne Menge, Menge Leute rum, und nischt passiert“ –, liegt letztlich am fehlenden Geld. Nur an den Abenden spielen einige nicht so teure Bands. Dafür gibt's um so mehr Talks über Wendeknicke, die bei den meisten bis heute nicht begradigt sind und es auch nie mehr werden.

Gerade die, die kaum noch im Geschäft sind, „haben wohl regelrecht darauf gewartet“, überhaupt mal wieder angesprochen zu werden, hat Rahmlow beobachtet. Zu denen gehört vermutlich auch Roland Neudert, den man im Westen zur groben Einordnung wahrscheinlich den Zusatz „Peter Alexander des Ostens“ verpassen würde. Neudert arbeitet mit seiner Partnerin immer noch daran, sich „gesamtdeutsch bekannt zu machen“. Was ein kleines Problem sei, „weil uns im Westen niemand kennt“. Die man da am besten kennt, sind auf dieser Veranstaltung in der Tat nicht anwesend. Zum Beispiel Die Prinzen, möglicherweisen haben sie außer keine Zeit auch Angst vor dem Etikett Ostalgie. Jüngere Ostbands wie Das Auge Gottes oder Keimzeit fehlen ebenfalls. Das Konzept sah die Musik der fünfziger bis achtziger Jahre vor, erklärt Norbert Rahmlow, die neueren Bands hätten teilweise einfach nicht hierher gepaßt.

Voll hierher passen natürlich die Puhdys, die mit ihrem Pur-Schlagerrock zur erfolgreichsten DDR-Kapelle wurden, lange bevor es Pur im Westen gab. Abgesehen davon sind sie auf der Ostalgiewelle mit am besten gesurft. Für die Band Pankow, die schon vor der Wende etwas gegen den Strom trieb, gilt das nicht. Sie strampelt unverdrossen nach einem Rettungsring und leistet den Offenbarungseid vorm Sonntagnachmittagsausgehvolk: „Wir brauchen Euch mehr, als Ihr Euch vorstellen könnt.“

Nicht mal nicht gut, sondern gar nicht über die Wende gekommen, ist die Stern Combo Meißen. Die Pioniere des DDR-Elektronikrocks hatten nach der Wende „keinen Mumm“, zeitlose Musik zu machen. Obwohl sie ihr Comeback nun doch nicht auf dieser „Messe der Hilfe zur Selbsthilfe“ starten, sind sie hier, um Leute zu treffen. Sie wollen jede Chance zum Bekanntwerden nutzen. Da kommt zur Not selbst der Exkollege aus der sozialistischen Unterhaltungskunst gelegen, der sich jetzt als Depreporter beim lokalen Privatfernsehen verdingt und munter drauflos, jedoch irgendwie geniert, von früheren gemeinsamen Gigs im Cottbusser „Haus der Bauarbeiter“ plaudert. Das Ende der Häuser der Bauarbeiter hat jeder auf seine Art verkraftet. Nicht wenige MusikerInnen machten lieber Kneipen auf oder komponierten – wie ein Stern-Combo-Mitglied – fortan Funkwerbespots zum Zwecke der Existenzsicherung.

Bei Tina, einem ehemaligen Popsternchen, sah die so aus, daß sie eine Partnervermittlung gründete, die auch mit einem Stand Flagge zeigt. Außerdem betreibt sie als Interviewerin ihrer früheren MusikerkollegInnen Vermittlungstätigkeit fürs Publikum. Beispielsweise beim Talk mit dem DDR-Schlageridol Frank Schöbel, den sie in schönstem Sprachplatt als „Identifikationsfigur und Hoffnungsträger des Ostens“ preist. Schöbel scheint zwar wenig beglückt über solche Klischees, räumt aber ein, daß seine Konzerte tatsächlich fast alle im Osten stattfinden.

Vorbehalte gegen seine Veranstaltung selbst von der westdeutschen Musikindustrie, die ihr Geld mit Ostware verdient, beklagt auch Norbert Rahmlow. Eine Hamburger Klassik-Company ließ sich nicht blicken, weil sie zuviel Ostalgie erkannt haben wollte. Für Rahmlow handelt es sich jedoch nur um „normale Identitätsfindung, nachdem man mit soviel Neuem übersättigt wurde“. Die etlichen tausend BesucherInnen an den drei Tagen scheinen das zum Teil zu bestätigen. So ist der CD- Sampler „Das Beste aus der DDR/ Kult“, der unter anderem die Titelmelodie der Fernsehnachrichten sowie den ersten Nina-Hagen-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“ beinhaltet, bereits nach dem ersten Veranstaltungstag schnell ausverkauft.

Aber auch die Veranstalter können nicht meckern, das ostdeutsche Volk hat seine Lieblinge von einst – vor allem am letzten Tag – nicht vergessen. Die Ostmusik als Sonntagsausflug für die ganze Familie, bevor ab Montag wieder der Alltag wartet. Und der hieß auch bei den meisten OstlerInnen: Dudelfunk und Spaß dabei, auch ohne Ostmusik.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen