: Der ganz legale Chemulack-Skandal
■ Beim Desaster um die Steglitzer Lackfirma konnten Wirtschaftskriminelle nach Belieben schalten und walten. Bundesgesetze und Rechtssprechung lassen das zu, Justizministerium sieht keinen Reformbedarf
Der Skandal um die Steglitzer Farben- und Lackfirma „Chemulack“ – mehrfach Vorbestrafte steuern ein Unternehmen in den Ruin und hinterlassen ein finanzielles und ökologisches Desaster – ist ganz legale Praxis. Das GmbH- Recht läßt in Verbindung mit dem Strafgesetzbuch Wirtschaftskriminellen freie Hand. „Das ist“, sagte Udo Bensel, Umwelt- und Wirtschaftsstadtrat des betroffenen Bezirks Steglitz, „der eigentliche Skandal bei dieser Geschichte.“ Chemulack mußte im Dezember 1993 seine Produktion einstellen, weil das Unternehmen wiederholt massiv gegen Umweltschutzauflagen verstoßen hatte.
Nach dem Absturz der Cessna am Rosenmontag, bei dem der Gesellschafter von Chemulack, Kristian Benzmann, und der Abwickler der Firma, Gottfried Hoffmann, starben, müssen Gläubiger und Bezirksamt das Firmendesaster ausbaden: Allein bei der Sanierung des völlig verseuchten Unternehmensgeländes drohen Kosten in dreistelliger Millionenhöhe.
Trotzdem war es ganz legal, daß Benzmann 1983 übergangslos vom Häftling zum Chef einer Firma mit 30 Angestellten aufstieg. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Chemulack hätte Benzmann nur dann nicht übernehmen dürfen, wenn er 1979 wegen „Bankrotts“ verurteilt worden wäre. Dann hätte er nämlich fünf Jahre auf den Chemulack-Job warten müssen. Wegen der Pleite um die Schokoladenfirma Fresöni 1973 wurde Benzmann jedoch nur wegen „Untreue“ für viereinhalb Jahre hinter Gitter geschickt; ganz nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes. Eine Verurteilung wegen „Untreue“ verhindert aber laut GmbH-Recht im Unterschied zu einer Strafe wegen „Bankrotts“ nicht, daß ein so Vorbestrafter eine GmbH leitet oder abwickelt.
Auch bei der Bestellung von Hoffmann 1995 zum Abwickler der Chemulack ist formal alles mit rechten Dingen abgelaufen. Denn zwar war ein Mann für die Auflösung der Firma und Verwertung ihrer Konkursmasse zuständig, den Gerichte von Berlin bis München insgesamt zu 19 Jahren Haft verurteilt hatten, der den Maklerberuf nicht mehr ausüben durfte und damit laut GmbH-Recht auch nicht zum Abwickler ernannt werden durfte – doch Hoffmann nutzte eine Gesetzeslücke. Denn dem Handelsregister im Amtsgericht Charlottenburg genügte der Beschluß der Gesellschafterversammlung von Chemulack, bestehend aus Benzmann, und die Aussage Hoffmanns, nicht in einen Bankrott verwickelt gewesen zu sein. Hoffmanns Berufsverbot mußte das Gericht nicht nachprüfen.
Schließlich steht fest, daß Chemulacks Gläubiger, die Berliner Bankenwelt, bei der Benzmann mit acht Millionen Mark in der Kreide stand, dessen private Reichtümer (etwa eine Villa in Dahlem, eine Wohnung auf Sylt) nicht pfänden können. Bei einer GmbH haftet die Firma mit ihrem Kapital, nicht der Gesellschafter als Privatperson. Benzmanns Banken hätten laut Justizsprecher Rüdiger Reiff nur dann Zugriff auf dessen Eigentum, wenn sie belegen könnten, wie er ihre Gelder zweckentfremdet hat. „Wer mit einer GmbH Geschäfte macht“, sagte Reiff, „muß damit rechnen, daß nicht viel dahinter steckt.“
Durch eine Reform des über 100 Jahre alten GmbH-Rechts oder der entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches könnten Fälle wie die von Chemulack verhindert werden. Doch im Bundesjustizministerium rührt sich nichts. „Ein aktuelles Vorhaben auf diesem Gebiet“, sagte Ministeriumssprecher Bernhard Böhm, „treibt uns nicht um.“ Eine Verschärfung stünde dem Prinzip entgegen, „daß man diejenigen, die aus dem Gefängnis kommen, schnellstmöglich wieder in das gesellschaftliche Leben integrieren will“. Christoph Oellers
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