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Ernsthafter Mensch mit leiser Stimme

Am Freitag beginnt das vierte Kurt-Weill-Fest in Dessau. Erstaufführungen und Wiederentdeckungen erinnern an den Komponisten, der vor den Nazis fliehen mußte – und hierzulande beschämend unbekannt geblieben ist  ■ Von Sabine Zurmühl

Dessau in Sachsen-Anhalt, zwei Stunden von Berlin entfernt, Dessau mit dem Bauhaus, Dessau mit einem Marktplatz, der die Spannung so vieler DDR-Städte vermittelt; Plattenbau neben gotischer Kirche, Altstadt und Sozialismus. Dessau, das einmal eine prächtige Synagoge besaß, die das Zuhause des Knaben Kurt Weill wurde, weil sein Vater dort Kantor war und seine Kinder selbstverständlich gut jüdisch ausbildete.

Weills erste Kompositionen als Halbwüchsiger waren liturgische Hochzeitsgesänge. Und so wurde Kurt Weill ein ernsthafter Mensch mit einer leisen Stimme, erfolgreich ganz früh, mit einem offenen Geist für das Überlebte und das Erhaltenswerte der Musik, in großer Liebe seiner Frau, der Schauspielerin Lotte Lenya, ergeben – und mit einem von den Nazis in zwei Teile zerbrochenen Leben: sein deutsches und sein amerikanisches. Er starb mit 50 Jahren in den USA, im Jahre 1950. Seine Eltern und Geschwister überlebten in Palästina.

Zum vierten Mal wird in Dessau das Kurt-Weill-Fest veranstaltet, vom 1. bis zum 10. März. In Kontakt mit der Weill Foundation in New York bemüht man sich in Dessau um Erstaufführungen, Wiederentdeckungen, auch um eine neue Integration der Weillschen Werke in seine Heimatregion. Mutig die Aufführungsorte. So wurde ausgerechnet der Kulturpalast in Bitterfeld erwählt, eine konzertante Aufführung der „Dreigroschenoper“ zu zeigen. In diesem Palast wurde in den fünfziger Jahren mit großem Aplomb und vielen roten Nelken von Ulbricht der sogenannte „Bitterfelder Weg“ ausgerufen: Künstler in die Produktion, Arbeiter an die Schreibmaschine – was ja leider nicht geklappt haben soll. Hier jedenfalls, zwischen Industrieruinen und verfallender Arbeitersiedlung, wird die „Dreigroschenoper“ mit Gisela May als Erzählerin in einer im Brecht-Nachlaß entdeckten, bislang unbekannten Textfassung zu hören sein. Die sonst nicht gerade als einfach bekannten Brecht- Erben ließ man via Weill Foundation in New York um die Aufführungsrechte bitten, Frau Barbara Brecht-Schall gab sie gern...

Ein weiterer Spielort wird die Dessauer Marienkirche sein, in der „Down in the Valley“ von 1948 mit Schülern und Studenten aus Dessau, Solisten der Hanns-Eisler- Musikhochschule und der Kammersymphonie aus Berlin gezeigt wird – eine „Radiooper“ und „Schuloper“, die von Weill bewußt so instrumentiert wurde, daß sie von Schulen und Universitäten musikalisch bewältigt werden kann. Und tatsächlich wurde „Down in the Valley“ damals von 85 Colleges sofort nachgespielt und bundesweit im Radio übertragen. Das Stück erzählt von zwei Liebenden am Abend vor der Todesstrafe des Mannes. Es enthält viele Folksong-Elemente und wurde als der „Ursprung der amerikanischen Oper“ gefeiert. – Immer wieder hatte ja Weill von sich gefordert, die Form der Oper neu zu konstruieren, nicht mehr zu unterscheiden zwischen U und E, dem Jazz, den Tänzen (gern: Walzer, Tangos), auch den traditionellen Volksmusikformen ihren Platz einzuräumen. Seine erste sogenannte „Schuloper“, „Der Jasager“ mit Text von Brecht, hatte 1930 die Schulmusik geradezu revolutioniert und wurde von ihm öfter als sein wichtigstes Werk bezeichnet.

Das Anhaltische Theater schließlich, unter der Intendanz von Johannes Felsenstein, wird in der Regie von Helmut Straßburger (vormals: Volksbühne Berlin) den „Silbersee“ von Weill herausbringen, mit dem expressionistischen Text Georg Kaisers. Im Februar 1933 war das Stück in einer Ringaufführung gleichzeitig in Leipzig, Magdeburg und Erfurt gezeigt worden, es hatte grandiosen Erfolg, in der Rolle des Severin sang der junge Ernst Busch in Magdeburg. Die Geschichte einer Gruppe junger Arbeitsloser griff die wirtschaftliche Situation der Weimarer Republik auf, führte dann aber zu einem eher mystischen Schluß – „Wer weiter muß, den trägt der Silbersee“ –, der von KPDlern heftig kritisiert wurde. In den Vorstellungen störten Nazis nachhaltig, die Theater wurden unter politischen Druck gesetzt, das Stück verschwand blitzartig vom Spielplan. Es war das letzte, das Weill hier in Deutschland von sich aufführen konnte – er floh unmittelbar danach, zunächst nach Frankreich, dann in die USA. Nach der Machtergreifung hatte Weill geschrieben: „Ich halte das, was hier vorgeht, für so krankhaft, daß ich mir nicht denken kann, wie das länger als ein paar Monate dauern soll.“

Der Fall von einem der umworbensten Avantgardekomponisten der Weimarer Republik in die Ächtung und Vertreibung durch die Nazis war tief. Weill hat danach nur noch Englisch gesprochen, auch mit seiner Frau, er hat sich den amerikanischen Möglichkeiten zugewandt, mit erfolgreichen Musical-Stoffen, Filmmusiken. Gleichzeitig äußerte er sich, auch in Zusammenarbeit mit Erika Mann, aus der Emigration politisch und musikalisch, zum Beispiel mit dem Chorwerk „We will never die“, das 1943 im New Yorker Madison Square Garden vor 20.000 Menschen vom Kampf der Juden im Warschauer Ghetto und den Opfern in den KZs handelte.

Das Werk Weills ist hierzulande fast beschämend unbekannt geblieben nach dem Krieg, als Folge der Nazi-Ächtung. Auf dem Kurt- Weill-Fest wird dem auch mit Filmvorführungen Rechnung getragen, Kammermusikabenden und einem „Cross Over Weill“, bei dem sich mit Gisela May, Hélène Delavaut und Jocelyn B. Smith die Lebensorte Weills – Berlin, Paris und New York – begegnen.

Information und Karten: (0340) 220 23 10 oder Internet: http:// www.ilink.de/KurtWeill

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