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Lächerlich ähnlich

In Michael Manns neuem Thriller „Heat“ stehen Al Pacino und Robert De Niro zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera: Dramatisch!  ■ Von Maximilian Dax

Einer von beiden stirbt. Der andere hält ihm die Hand. Keinen von beiden hätte es erwischen sollen. Ein Düsen-Jet donnert im Landeanflug auf den Los Angeles Airport über die beiden Männer hinweg. Ein sentimental-hypnotisches Klavierthema spendet Melancholie – das Ende von „Heat“ ist Grande Opera, Ausklang, Scherbenhaufen.

Michael Manns Film „Heat“, die fünfte Regiearbeit des „Miami Vice“-Produzenten für das Kino, ist ein Drama über zwei sehr ähnliche Männer, eine lange Geschichte über eine (Männer-)Freundschaft, die eigentlich nicht sein kann. Es ist die episch angelegte Story eines genialen Bankräubers und eines besessenen Polizisten im vor Hitze flirrenden Großstadtdschungel von Los Angeles. Vor allem aber ist „Heat“ die Zusammenführung zweier Mega-Schauspieler: Mit Robert De Niro in der Rolle des Gangsters Neil McCauley und Al Pacino als Detective Vincent Hanna vom LA Police Department gelang es dem als Perfektionist geltenden Michael Mann erstmals, die beiden US-Stars gemeinsam vor die Kamera zu bringen. Und auf den erste Blick ist „Heat“ ein Jungsfilm, in dem die Kerle erst Verstecken und dann Jagen spielen, bevor sie einander schließlich in die Arme fallen. Wo die Frauen nur Staffage, psychologisches Umfeld, bestenfalls ein schlechtes Gewissen für die Protagonisten darstellen. Jeder stiere Blick jedoch ist ein Blick zurück in den ganz großen Zweifel.

In „Heat“ sind der Räuber und der Gendarm Existentialisten europäischer Schule. Und sie sind gescheitert. Perfekt in ihrer Arbeit, aber unfähig, ihre Leben in den Griff zu bekommen, sind sie unter der strahlenden Fassade der Gewinner, die sich selbst erschaffen haben, deren Schicksal ausschließlich von ihnen und nicht von anderen abhängt, tatsächlich Menschen, die sich in die Tasche lügen, Tag um Tag ihres Lebens verpassen. Sie sind in Wirklichkeit Verlierer.

In „Heat“ treffen sich Vincent Hanna und Neil McCauley zum ersten Mal (in der Kinogeschichte) in einer Autobahnraststätte auf eine Tasse Kaffee, und längst wissen sie bereits fast alles über einander, denn sie haben sich gegenseitig schon ausspioniert: Es fällt ihnen schwer, sich das Lachen zu verkneifen, als ihnen bewußt wird, daß sie einander erschreckend ähnlich sind, ja, fast identisch sind, daß der Polizist sofort die Rolle des Bankräubers einnehmen und der Gangster die Fahndung mit der gleichen Besessenheit, Akribie und Ausdauer leiten könnte wie der Polizist, dessen dritte Ehe gerade zerbricht, „weil ich ständig Leute wie dich jagen muß, nie rechtzeitig zu meiner Frau zum Abendessen nach Hause komme“. Das Treffen der beiden Schauspielgiganten ist einer der Höhepunkte des Thrillers: „Ich fange nichts an, aus dem ich mich nicht innerhalb von 30 Sekunden wieder befreien kann“, offenbart McCauley dem schmunzelnd zuhörenden Hanna. „Aber was machen Sie, wenn Sie sich einmal verlieben sollten?“ – „Das ist der Nachteil an meinem Beruf.“ In der anonymen Atmosphäre der Highway-Raststätte erzählen sich der Jäger und der Gejagte private Dinge, die sie noch nicht einmal ihren Freunden gegenüber zu formulieren imstande sind, sehr wohl allerdings ihrem aus dem Nichts aufgetauchten Spiegelbild.

Die Geschichte dieser beiden Brüder im Geiste wird von Michael Mann mit drastischer Konsequenz erzählt. Raubüberfälle von McCauleys Gang – Robert De Niro, Val Kilmer, Tom Sizemore, Jon Voight und Danny Trejo – werden wie militärische Operationen mit chirurgischer Präzision durchgeführt und in ihrer ganzen Brutalität gezeigt. Als ein Helfer aus Spaß am Nervenkitzel einen Überfall in einem Blutbad enden läßt, wird Neil McCauley zum furchterregenden, beherrschten Choleriker, gegen dessen Wut selbst De Niros unvermittelte Baseballschlägerattacke auf einen Geschäftspartner in Brian De Palmas „The Untouchables“ wie Nachmittagsfernsehen wirkt. Und als ein weiterer Überfall zu entgleisen droht, werden – in der längsten Schießerei der Filmgeschichte übrigens – reihenweise unbeteiligte Passanten niedergestreckt und Kinder als lebende Schutzschilde genommen. Die Welt, die in „Heat“ entworfen wird, ist nur dann schön, wenn alles glatt geht.

Die Welt – das ist in dem Drei- Stunden-Thriller ausschließlich Los Angeles, das zudem von gänzlich ungewohnter Seite und eingewebt in wuchtige Geräuschlandschaften gezeigt wird. An über 80 Originalschauplätzen gedreht, verzichtete Michael Mann auf die bekannten Bilder dieser Stadt am Pazifik: keine Venice-Beach-Idylle, keine „Hollywood“-Buchstaben, kein Sunset Boulevard. Los Angeles ist in „Heat“ ein effizient funktionierender Moloch. Die Kamera schaut mit dem Blick der Protagonisten. Was kann für die eigenen Zwecke genutzt werden? Was kann die Stadt für die Akteure tun? Also finden konspirative Treffen in Tiefgaragen, auf weitläufigen Parkplätzen, in stillgelegten Autokinos und unter Highway- Trassen statt. Der Blick fällt auf Sendemasten, Fluchtwege, Kabelschächte, Flugschneisen, kalte postmoderne Bankenarchitektur und auf Baustoffdepots.

Ganz im Gegensatz zu seinem vor Jahren gedrehten TV-Film „L.A. Heat“, der lediglich die groben Handlungsstränge des Kinofilms vorwegnahm, hat Michael Mann in „Heat“ seinem Anspruch auf größtmöglichen Realismus ohne Abstriche stattgegeben: Die epischen drei Stunden des Films wurden von Mann dazu genutzt, den beiden Hauptfiguren sowie McCauleys Gang-Mitglied Chris Shiherlis (gespielt von einem grandiosen Val Kilmer), ein glaubhaftes soziales Umfeld zu geben. Während sich McCauley im Laufe der Handlung in die Buchhändlerin Eady (Amy Brenneman) verliebt, bei der er sich immer die für seine präzise vorbereiteten Einbrüche benötigten technisch- wissenschaftlichen Lehrbücher kauft, durchgeht der Polizist Hanna die tragische Leere seiner sich in der Auflösung befindenden Ehe mit Justine (Diane Venora). Unfähig, sich der dringend zu klärenden Lage zu stellen, und, viel schlimmer, unfähig, seiner Stieftochter Lauren (Natalie Portman, man kennt sie aus „Leon“) die Aufmerksamkeit zu schenken, derer sie dringend bedarf, vergräbt sich Hanna immer starrsinniger in seine Fahndungsarbeit und glaubt fest, seine privaten Krisen würden sich von selbst lösen. Auch Chris Shiherlis' Entscheidung, an einem riskanten Bankraub teilzunehmen, wird plausibel, da die Abbildung seiner familiären Situation seinen Charakter so offengelegt hat, daß jeder seiner Schritte nachvollziehbar erscheint.

Clever war es, „Heat“ tatsächlich als Tragödie zu inszenieren. Michael Manns Film ist das klassische Drama zweier ewig zweifelnder, fatalistischer Männer, eingebettet in einen effizient und spannend gedrehten Thriller. Die Geschichte zweier tragischer Helden, die in ihrem festen Glauben, die Welt würde nach den von ihnen entworfenen Regeln funktionieren, Sympathieträger und Loser zugleich sind. Zum Schluß möchte man niemanden sterben sehen, so sehr sind die Grenzen zwischen Gut und Böse ambivalent geworden, ist das Scheitern im Menschlichen in den Vordergrund gerückt. Ein großer Film.

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