: Alles easy, oder was? Von Klaudia Brunst
Wir hatten uns die Sache eigentlich ganz leicht vorgestellt. Leichter jedenfalls als zu der Zeit, in der mein Patenkind noch im Barbiepuppenalter war und wir beim Kauf ihres Geburtstagsgeschenks regelmäßig einen Kulturschock erlitten. Nun aber, so hatte uns die Mutter signalisiert, habe das Kind endlich das Lesen entdeckt. „Kauft einfach ein gutes Buch“, riet sie uns. „Da könnt ihr nichts falsch machen.“
Eine fachkundige Kollegin riet uns zu einem Besuch bei „Leseliese“, einer gut sortierten alternativen Jugendbuchhandlung in Kreuzberg. „Du, kein Problem, du“, meinte die Verkäuferin betont alternativ, „welches Problemfeld soll's denn sein?“ Wir skizzierten kurz das zu beschenkende Geburtstagskind – 12, Zahnspange, Kelly-Family-Fan („man steckt halt nicht drin in diesen jungen Dingern“), erbaten aus pädagogischen Gründen ausschließlich weibliche Helden, und schon fischte die Buchhändlerin einen passenden Stapel aus ihrem gut sortierten Sortiment. „Da hätten wir zum Beispiel ,Eine unglaubliche Geschichte?‘ aus dem Oetinger Verlag: Da geht es um ein 14jähriges Mädchen, das dafür kämpft, daß der Asylantrag ihrer chilenischen Schulkameradin nicht abgelehnt wird. Oder wie wär's mit ,Feuer über Kurdistan‘? Ravensburger. Da geht es um eine junge Kurdin, die mit ihren Eltern aus der Türkei geflohen ist und zusammen mit ihrem Freund nach Kurdistan zurückkehrt, um ihr Volk beim Kampf um die Freiheit zu unterstützen.“
„Haben Sie auch etwas Leichteres“, fragte ich vorsichtig, „vielleicht ohne Asylproblematik?“ – „Is' aber ein wichtiges Thema“, zuckte die Buchhändlerin die Achseln und stopfte die Bücher wieder ins Regal. „Wie wäre es denn mit ,Novemberkatzen‘ aus dem Beltz- Verlag? Da hätten wir Ilse. Die ist immer total allein, weil der Vater die Familie verlassen hat und die Mutter mit ihrer Situation überfordert ist. Oder ,Alles easy, oder was?‘. Bei Arena erschienen. Das ist auch die Einelternproblematik. Vater abgehauen, Mutter mit sich selbst beschäftigt. Ihr wißt schon.“
Wir gaben zu bedenken, daß der Vater der Kleinen tatsächlich vor ein paar Jahren abgehauen sei und das deshalb vielleicht doch nicht das richtige Thema ... „Dann wird's aber eng“, stöhnte die Verkäuferin mißmutig, „da hätten wir dann noch die Umweltproblematik: ,Jeder Tag ein Happening‘, auch von Oetinger. Könnt ja mal selbst reinschauen.“
Pflichtschuldig beugten wir uns über den Klappentext: „Anna regt es auf, daß ihre Mutter, die so umweltbewußt ist, nichts dagegen unternimmt, daß der Spielplatz vor ihrem Haus seit zwei Jahren wegen Dioxinverseuchung gesperrt ist...“
„Bei aller Liebe“, stöhnte nun auch meine Freundin auf, „so was kann man doch keiner Zwölfjährigen schenken! Haben Sie denn keine Liebesgeschichten oder so was?“ – „Warum habt ihr das nicht gleich gesagt?“ blaffte die Buchhändlerin und riß uns das Dioxinbuch wieder aus der Hand. „Das ist jetzt aber mein letzter Versuch“, warnte sie uns. „Heißt ,Intercity‘. Ist genau das, was ihr sucht: Eine weibliche Heldin, erste Liebe und eine intakte Elternbeziehung.“ Verschüchtert schielten wir auf den Klappentext: „Lisa steht vor einer schweren Entscheidung. Sie ist schwanger. Und sie fühlt sich noch nicht reif genug, ein Kind zu bekommen ...“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen