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Unausweichliches Sterben

■ betr.: „Der Overkill der Krebs nachsorge“, „Krebsforscher lassen Dampf ab“, taz vom 26. 2. 96

„Abwarten und nichts machen paßt einfach nicht ins Konzept der Ärzte“, erkennt der Nürnberger Krebsspezialist Walter Gallmeier. Mit dieser Aussage hat sich der Arzt leider nur auf die Nachsorgeuntersuchungen von operierten Krebspatienten bezogen. Dabei trifft sie genauso zu auf Patienten, deren Krebs inoperabel ist und deren Lebenserwartung nur noch einige Wochen oder Monate beträgt.

Ich arbeite in der amublanten Krankenpflege und erlebe es immer wieder, daß sich viele Ärzte scheuen, ihre Patienten vollends über ihren Zustand aufzuklären. Entweder halten sie sich lieber an die Angehörigen, oder die Diagnose wird dem Patienten vor den Kopf geknallt, ohne daß man sich nachher darum kümmert, wie dieser und seine Angehörigen damit zurechtkommen. Damit wird den Betroffenen jegliche Chance genommen, sich richtig mit ihrem Zustand auseinanderzusetzen und in der Folge bewußt selbst zu entscheiden, wie sie sich denn ihr Lebensende vorstellen. Statt dessen werden ihnen Hoffnungen gemacht, daß sie den Krebs besiegen können, wenn sie sich massiver Chemo- und Strahlentherapie mit all ihren scheußlichen Nebenwirkungen unterziehen, obwohl der Arzt genau weiß, daß damit lediglich einige Tage oder Wochen gewonnen werden können. Oder es wird eine todkranke Frau täglich von daheim in die Praxis zur Infusionstherapie bestellt, weil sie nur noch 48 Kilogramm wiegt und aufgepäppelt werden soll! Damit sie statt mit 48 Kilogramm eine Woche später mit 49 Kilogramm stirbt?

Ich frage mich dabei immer wieder, was Ärzte sich dabei denken. Die schlimmste Unterstellung ist, daß sie noch mal kräftig an ihren Patienten verdienen wollen (und das nicht schlecht bei solchen Maßnahmen!). Oder stehen sie einfach hilflos dem unausweichlichen Sterben gegenüber, und weil sie nicht wissen, was sie tun sollen, überschlagen sie sich in Aktivitäten?

Es ist nicht einfach, zuzusehen wie jemand stirbt; noch schwieriger ist es wahrscheinlich, es auch zuzulassen. Für Sterbende, Angehörige, Freunde, Ärzte, Pflegepersonal wären gemeinsame Entscheidungen zum Wohle des Patienten einfacher, wenn der Tod und auch der Prozeß des Sterbens als etwas betrachtet werden könnte, daß unausweichlich zum Leben dazugehört. Sterbebegleitung ist für viele Menschen immer noch ein Fremdwort, denn sich mit Sterbenden auseinanderzusetzen ist unbequem, bedeutet psychische Belastung und erinnert mit Erschrecken daran, daß man irgendwann auch selber zu den Sterbenden gehören wird. Daß man im bewußten Umgang mit Sterbenden auch sehr viel Bereicherung erfahren kann, wenn man sich darauf einläßt, wird leider übersehen.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die ehrenamtliche Arbeit der Hospitze hinweisen, die Sterbebegleitung für Betroffene und deren Angehörige anbieten. Ute Hieber, Königslutter

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