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Ganz schön haarig!

■ Hoffnungen in die Teenager-Kaufkraft und den fußballfreien Fußbal: Nach "Bravo-Sport" setzt "Baller!" auf klassenlose Unterhaltung

Der mit Abstand langweiligste Tag einer Woche ist seit jeher der Dienstag. Denn am Montag erscheint der Montags-kicker, am Mittwoch kommt Sport-Bild, am Donnerstag dann der Altpapier- kicker, und am Freitag entnimmt man der lokalen Tageszeitung die Mannschaftsaufstellung für den Samstag, an dem man ins Stadion geht. Wovon man sich am siebten Tag auch erst mal erholen muß. Dienstag aber ist Diaspora. Genauer gesagt: war. Denn immer „Dienstags BALLERt's“ neuerdings, weil der Kiosk jetzt ein Heftchen mehr parat hält: Baller! – das Fußball-Action-Magazin.

„Völlig Fußball“, behauptet Baller! von sich selbst. Der Titel ist Synonym für die vorherrschende Sicht auf Fußball in der zweiten Hälfte der Neunziger. Ein 0:0 zählt nur noch etwas, wenn es direkt über Meisterschaft und Abstieg entscheidet. Tore sind das Spiel als solches. Und wenn keine Tore fallen, dann war es eigentlich auch kein Spiel. So ist das. Es sei denn, ein 0:0 kann ein reguläres, aber vom Schiedsrichter nicht gegebenes Tor vorweisen (siehe Freiburg gegen Gladbach), dann ist das natürlich die Story, über die sich zu berichten lohnt.

Der Urheber dieses Blicks auf den grünen Rasen in seiner deutschen Version heißt natürlich Reinhold Beckmann. Und der diktierte der Bunte unlängst eine seiner Standardsituationen: „Fußball war früher ein männliches Kleinbürgervergnügen, heute ist er klassenlose Unterhaltung.“ Letzteres stimmt, und Beckmann ist für diese Fußballshow verantwortlich.

Dieser Verbreiterung des Marktes arbeiten solche Hefte wie Baller! zu und verdienen gleich ein paar Mark mit: „Der Fußball boomt ja nicht zuletzt, seitdem es ,ran‘ gibt“, nickt der stellvertretende Chefredakteur Armin Hierstetter ab. Und wie „ran“ ginge es auch Baller! vor allem um eines: um den Hype.

Hype riecht nach Pop. Und was die Kirch-Angestellten Woche für Woche auf den Bildschirm zaubern, ist in gewisser Weise auch Fußballpop – Pop in seiner armseligen, teutonischen Variante, vor allem gekennzeichnet durch ihre alles beherrschende Ideenarmut und den Mangel an Spaß. Das machen Baller!-Redakteure (Alter: 25 bis 30 Jahre) nicht grundlegend anders, ein wenig aber schon, und das sicherlich auch, weil ihre Zielgruppe Teenager im Alter von 11 bis 19 Jahren sind.

So werden Bundesligaspieler einem Frisurentest unterzogen („Ganz schön haarig!“), in dem man unter anderem erfährt, daß es in Kaiserslautern Videoclips zu sehen gibt, die Harry Koch bei der Pflege seines massigen Lockenschopfes zeigen; oder im Heft erscheint eine Rangliste der Kicker- Oberschenkelmuskulatur – eindeutiger Sieger: Jay Jay Okocha. Und nicht zuletzt wären da die Danksagungen im Impressum des Heftes an den „Sorrento Pizza Heimservice“ (fürs Catering) oder die Britpop-Band Oasis (für die musikalische Unterstützung bei der Heftproduktion).

Natürlich kümmert sich Baller! in knalligem Layout zuallererst um die „Großen“ der Bundesliga, also Effenberg, Balakov, Matthäus, Häßler usw. Aber eben auch um die Bundesliga-Randexistenzen. Mal im Ernst: Wo findet sich im vierfarbigen Hochglanzland auf der Heftrückseite schon ein ganzseitiges Poster eines gewissen Domenico Sbordone (übrigens: Eintracht Frankfurt)? Oder: Wer, außer vielleicht der Krefelder Stadionzeitung, würde es wagen, zehn „Facts“ zum KFC Uerdingen abzudrucken?

Keiner. Das Ligaproletariat kümmert die Kollegen der Kontrahenten um die Gunst des jungen, fußballbegeisterten Lesers nicht. Die beiden Um-die-3-Mark-Hochglanz-Blätter Bravo-Sport (Bauer- Verlag) und Magic Sport (Ehapa) setzen demonstrativ platt auf Star- Glamour, American Sports und sogenannte Trendsportarten wie Snowboarden, Bunjee-Jumping. „Das Segment ,Jugend-Fußball- Magazin‘ ist bisher nicht vernünftig besetzt gewesen“, so Armin Hierstetter. Baller! versuche, genau diese Lücke zu füllen. Eine Lücke, die auch entstanden sei, weil der Kicker zu fad, Sport-Bild zu erwachsen und die Bauer/Ehapa-Konkurrenz zu wenig fußballlastig sei. Die Wunschvorstellung ist, eines Tages eine wöchentlich verkaufte Auflage von 400.000 Exemplaren zu erreichen. Und diese Hoffnung in die Teenage-Kaufkraft ist deutlich mehr als nur das Füllen einer „Lücke“, es geht – natürlich – um harte und offensichtlich auch vorhandene D-Mark.

In England hat sich der Print- Markt dieses Phänomens schon seit längerer Zeit angenommen. Dort gibt es Magazine wie Shoot oder Match. Und da sind wir beim Thema: Baller! nämlich wird vom englischen Attic Futura Verlag betrieben, der sich auf der Insel bereits mit dem Girlie-Blättchen Sugar (bestverkauftes seiner Gattung), dem Soap-Opera-Heft Inside Soap und der Fernsehzeitschrift TV Hits einen Namen gemacht und erhebliche Marktanteile gesichert hat. In Australien betreiben die Engländer gleich sieben Magazine ähnlicher Bauart. Und so ist es auch nicht wahnsinnig verwunderlich, daß der Baller!sche Art Director aus London kommt und für drei Monate in die Redaktion nach München delegiert wurde, um dem Heft einen grafischen Kick zu verpassen.

Klar ist, daß Baller! eher niedlich ist als der ganz große Spaß, auf den man immer schon gewartet hat. Und selbstverständlich stellt die überwiegende Mehrheit der in Deutschland erhältlichen Vereins- Fanzines das Hochglanzteil, was Intelligenz und Witz angeht, weit in den Schatten. Baller! jedoch deutet eine Möglichkeit an, wie breitgefächertes Überleben im Zeitalter der „Fußballshow“ zu bewerkstelligen sein wird. Demnächst werden sich nur noch wenige die 2.000 Mark teure BVB- oder Bayern-Dauerkarte leisten können; und die „Klassenlosigkeit“ von Fußball vor allem darin bestehen, daß Teile der Gesellschaft am liebgewonnenen Spektakel im Stadion live nicht mehr teilhaben werden können. Was den schlechter verdienenden Afficionados dann bleibt, ist eigentlich nur, eine noch spaßdurchtränktere Differenz zu all dem einzunehmen.

Baller! markiert – in erster Linie durch seine Verbreitung – einen kleinen Anfang. Wahre Liebhaber müssen hoffen, daß sich ein relativ neues Magazin aus dem Süden der Republik als Qualitätsprodukt am Markt behauptet, oder weiter sehnsüchtig auf die deutsche Lizenzausgabe des momentan ungeschlagenen Tabellenführers warten. Der heißt Total Football und erscheint in England. Hierzulande ist es nur in gutsortierten Bahnhofsbuchhandlungen erhältlich.

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